«Früher war hier das Meer. Und als sich die Alpen bildeten und sich das Wasser vor etwa 16 Millionen Jahren zurückzog, blieben verschiedene Gesteinsschichten zurück.» Emanuele Baldi steht auf dem Vorplatz vor Prunottos Cantina in Bussia und deutet auf das Städtchen Barolo, das in der Sonne leuchtet. Wir sind hier im Herzen der piemontesischen Langhe, in der Ferne weiss und mächtig die italienischen Alpen. Der Name der Region, «langhe», Zungen, kommt von den langgestreckten Hügeln und Flusstälern, die die Landschaft prägen. «Selbst wenn man sich nur von einem Hügel zum nächsten bewegt, bewegt man sich in der Zeit um Millionen von Jahren», sagt Emanuele Baldi. Der gebürtige Turiner steht seit über 20 Jahren im Dienst der Tenuta. «Zwischen Ost und West der Appellation sind es sechs Millionen Jahre Unterschied in der Bodenbeschaffenheit. Darum gibt es so viele unterschiedliche Ausprägungen des Nebbiolo.»
Die Böden. Sie sind das vielleicht wichtigste Puzzleteil für die Einzigartigkeit der Nebbiolo-Weine aus Barolo. «Barolo liegt an der Grenze zwischen den sandigen Terroirs von LaMorra und Monforte, wo Lehm dominiert. Und Bussia ist das eigentliche Herz der Appellation», sagt Baldi. Der Boden ist weiss, und man sagt, dass weisse Böden die schönsten Baroli ergeben. «Je mehr Lehm, desto mehr Kraft und Tannin, je mehr Sand, desto filigraner.» Bussia bringt die zwei Seelen des Barolos zum Ausdruck: Eleganz und Finesse, aber auch schon ordentlich Kraft und Muskeln. Bevor Bussia 1961 zur Einzellage wurde (wir kommen gleich dazu), war Barolo immer ein Ver-schnitt aus verschiedenen Lagen. Aus gutem Grund. «Mein Sohn lernt gerade Bassgitarre. Nach zwei Stunden Bass-So-lo hat man’s gehört.» Emanuele Baldi lacht. «Wirklich, es ist wie in einer Rock-band. Jeder einzelne Weinberg ist Teil des Orchesters, und jeder Weinberg fügt eine Schicht Komplexität hinzu. Manche Lagen haben ein wunderbares Parfüm, La Morra zum Beispiel, aber für sich allein können sie manchmal etwas eintönig sein.» Die Kunst besteht also darin, verschiedene Weinberge richtig zu mischen. Es gibt aber auch Lagen in Barolo, die sind für sich allein ein komplettes Orchester. Emanuele Baldi führt uns um die Cantina herum. Vor uns leuchtet die Bussia in der Sonne, eine Art Amphitheater aus Reben. «Im oberen Teil ist die Lage sehr trocken, unten etwas feuchter. Wir ernten die Trauben über mehrere Wochen – und erhalten so dieses legendäre Gleichgewicht an einem einzigen Ort.»
«Bussia ist das eigentliche Herz der Appellation Barolo», sagt Emanuele Baldi
Es war der visionäre Winzer Beppe Colla, der das Potenzial von Bussia erkannte. Inspiriert vom Burgund füllte er den allerersten Lagenwein des Piemonts ab, schrieb das Wort «Cru» aufs Etikett – und machte die Piemonteser Superlage weltberühmt! Der Wein: Barolo Bussia di Monforte d’Alba. Der Jahrgang: 1961. Der Produzent: Prunotto.
Prunotto? Das Weingut, das heute zum Universum von Antinori gehört, wurde 1904 als Genossenschaftskellerei Ai Vini di Langhe gegründet, geriet während des Ersten Weltkriegs in finanzielle Schieflage und wurde von Alfredo Prunotto und seiner Frau Luigina gerettet. Prunotto war eine der zehn historischen Weinkellereien aus Alba, die ihre Weine schon damals nach Argentinien und in die USA verschifften. Als sich das Ehepaar zur Ruhe setzen wollte, verkaufte es an den jungen Winzerfreund Beppe Colla, der eben den Cru Bussia begründete – und ab 1989 mit der Familie Antinori kooperierte. Zuerst im Bereich des Vertriebs und später auch in der Produktion. «Damals besass Prunotto kein eigenes Land, es war üblich, die Trauben zuzukaufen. Und die Landwirte kultivierten nicht nur Reben, sondern jeweils auch ein paar Haselnusssträucher, hielten Hühner und vielleicht noch Rinder. Doch ab den 1980er Jahren begannen viele Familien, ihre Kinder nach Alba auf die Önologie-Schule zu schicken. Und die Jungen kehrten mit neuen Ideen zurück.» Die einstigen Traubenlieferanten von Prunotto, heute grosse Namen wie Conterno Fantino, Sandrone, Altare, begannen, ihre eigenen Weine zu keltern.
Die Lage Bussia wurde mit dem Jahrgang 1961 berühmt. Und der Produzent hiess: Prunotto.
Das Piemont wird oft mit dem Burgund verglichen: Statt grosser Châteaux prägen Bauernfamilien die lokale Weinkultur, und das Prestige eines Weins hängt massgeblich davon ab, wo er wächst. Die Lagen in der Langhe sind sehr zersplittert und teilweise winzig klein. Das macht es schwierig, Land zu kaufen. Emanuele Baldi nennt ein Beispiel: «Antinori erwarb Bussia 1990 – und erst 32 Jahre später (!) konnte man ein weiteres Stück Land dazukaufen: Cerretta, eine der hochwertigsten Lagen in Serralunga. Die Bodenpreise in den Langhe sind in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Als ich vor gut 20 Jahren bei Prunotto anfing, waren eine Milliarde Lire schon eine Menge Geld. Heute sind wir bei drei Millionen Euro pro Hektar oder 3,5 Millionen, je nach Lage.» Der Grund dafür: Das weltweite Interesse nach Barolo und grosse ausländische Investoren. Hinzu kommt das «diritto di prelazione», das Vorkaufsrecht. Die Gesetzgebung erlaubt es benachbarten Weinbauern, Rebberge zu kaufen, wenn sie zum Verkauf stehen. «Sagen wir, ich möchte dir einen Hektar Land verkaufen, wir einigen uns auf drei Millionen Euro. Das Geschäft ist abgeschlossen, wir gehen zum Notar und besiegeln alles. Aber der Winzer, dessen Land direkt an den Hektar angrenzt, kann nun entscheiden, das Land zu kaufen – und er wird es bekommen, zum gleichen Preis, keine Nachverhandlungen», erklärt Emanuele Baldi.
Und: Die exorbitanten Preise machen es schwierig, als Winzer überhaupt den Break-even zu erreichen. «Entweder, man hat wie die Familie Antinori langfristige Visionen und denkt bereits an die nächsten Generationen. Oder man hat das Land bereits in der Familie.» Denn, will man Barolo keltern, muss man nicht nur drei Millionen Euro für einen Hektar Land ausgeben, sondern auch ein Grundstück auf dem Boden der Gemeinde kaufen. Docg-Weine wie Barolo müssen innerhalb des Gebiets abgefüllt werden. Dass Prunotto in Alba abfüllen darf, ist einzig und allein dem Fakt geschuldet, dass «wir bereits vor Gründung der docg hier aktiv waren», so Baldi.
In der Cantina mit ihren prächtigen Kreuzgewölben begrüsst uns Gianluca Torrengo, Chefönologe von Prunotto. Er ist hier in Bussia Herr über zwei Weine: Barolo Bussia und die Spitze der Qualitätspyramide von Prunotto: Barolo Riserva Vigna Colonnello. Die Produktion dieser beiden Spitzen-Crus ist vom Rest strikte getrennt, «man riskiert sonst Kompromisse», so Torrengo. Die Trauben für beide Weine stammen aus dem oberen Bussia, alles Handlese, die Trauben streng selektioniert. Spannend ist: Während man früher für bessere Qualität die Traubenproduktion gesenkt hatte, passiert heute das Gegenteil. «Die Pflanzen bekommen immer mehr Sonne und weniger Wasser. Unser oberstes Ziel ist darum, etwas mehr Frische zu erhalten – und darum erhöhen wir die Produktion pro Stock eher ein bisschen.»
Hier werden Legenden geboren: der Keller von Prunotto mit seinen eindrücklichen Kreuzgewölben.
Die Parzelle ist mit vier Hektar so klein, dass nur eine Handvoll Winzer hier ernten, Prunotto gehören ein Hektar davon. «Die Legende besagt, dass sich ein ‹colonnello›, ein Oberst der Armee Napoleons, nach vielen Jahren im Kampf aus dem aktiven Dienst zurückzog und sich in dieser Gegend niederliess. Fasziniert von der Schönheit der Landschaft, begann er, auf dieser Parzelle seinen eigenen Wein zu keltern.» Gianluca Torrengo lacht: «Wer weiss das so genau.» Fakt ist, dass der Ertrag, sobald «vigna» auf dem Etikett steht, nochmals zehn Prozent geringer sein muss als bei einem «regulären » Barolo. «Wir machen hier also wirklich Top-Top-Qualität. » Für den Önologen repräsentiert der Bussia-Wein die beiden Geister des Barolo-Gebiets, das Zusammentreffen von zwei erstklassigen Terroirs. Und noch etwas, was Torrengo speziell an der Rebsorte Nebbiolo so liebt. «Nebbiolo hat eine grundlegende Eigenschaft: Wenn er gut gemacht ist, löscht er den Durst. Nebbiolo ist nicht fett oder marmeladig, sondern leichtfüssig und elegant, man trinkt, trinkt, trinkt. Das ist für mich das Wunderbare an diesem Wein!»
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