Torbato in verschiedenen GläsernTorbato in verschiedenen Gläsern

Ein sardisches Urgestein


Autochthone Traubensorten passen gut in unsere Zeit. Je schneller sich die Welt dreht, desto mehr suchen wir nach dem Ursprünglichen. Die Kellerei Sella & Mosca setzt seit hundert Jahren auf lokale Trauben – und hat eine ganz spezielle weisse sogar in die Gegenwart gerettet. Direktor und Chefönologe Giovanni Pinna über seine grosse Liebe: Torbato.

«Es ist nicht einfach, diese Traube zu zähmen.» Giovanni Pinna steht auf einem Plateau im Weinberg und lässt den Blick über 130 Hektar Torbato schweifen. Die Rebzeilen sind so lang, sie reichen fast bis zum Horizont. Vom nahen Meer ist nichts zu sehen, aber man spürt eine kühle Brise auf der Haut. «Torbato treibt früh aus, reift sehr spät, hat eine dünne Haut und bildet sehr dichte Trauben. Das macht ihn anfällig für Frühjahrsfrost und Pilzkrankheiten.» Kurz, für den Winzer eine echte Diva. Doch ist es mit Wein nicht wie mit den Menschen? Gewisse Ecken und Kanten machen interessant.

Für Giovanni Pinna – er ist der Direktor von Sella & Mosca und Chefönologe – ist nur schon der Fakt, dass seine Tenuta heute pro Jahr fast eine Million Flaschen Torbato keltert, Antwort genug. Dennoch: Mit 96 Prozent Anteil an der sardischen Gesamtproduktion steht die Kellerei mit ihrer alten weissen Varietät allein auf weiter Flur. «Torbato ist und bleibt eine Nischensorte.» Eben, weil sie schwierig zu kultivieren ist. Und weil viele Winzer in ganz Europa nach der Reblauskatastrophe Anfang des 20. Jahrhunderts auf pflegeleichtere, international bekannte Sorten umsattelten. Kleiner Exkurs: Die Phylloxera, so der lateinische Name der aus Nordamerika stammenden Reblaus, vernichtete zwischen 1850 und 1915 praktisch die gesamten Rebenbestände Europas. Warum? Weil sie sich an den Wurzeln der Weinstöcke gütlich tat – und damit Pflanze um Pflanze zerstörte. Seither steht kaum mehr eine Rebe auf ihren eigenen Wurzeln, sondern auf sogenannt amerikanischen Unterlagsreben, die der Laus schon früher im Evolutionsprozess begegnet sind und dadurch Resistenzen entwickeln konnten. Sprich, man pflanzt seit gut hundert Jahren nur noch veredelte Reben: unten Amerikaner-Wurzeln (genau, die alte Bekannte aus dem Tessin, die wir hierzulande wegen ihres dominanten Foxtons liebevoll «Chatzeseicherli » nennen), oben aufgepfropft die wohlschmeckende Vitis vinifera, also Merlot, Cabernet oder eben – Torbato. Und hier kommt Sella & Mosca ins Spiel.


Giovanni Pinna, Direktor und Chefönologe von Sella & MoscaGiovanni Pinna, Direktor und Chefönologe von Sella & Mosca

Giovanni Pinna
Direktor und Chefönologe, Sella & Mosca





Die Katalanen und Sardinien

Die Geschichte der grössten sardischen Kellerei begann vor 120 Jahren nämlich mit Stecklingen. «Die beiden Piemonteser Gründer, Ingenieur Sella und Anwalt Mosca, liessen sich in Alghero nieder, mit der Geschäftsidee, Rebenstecklinge für den Verkauf zu produzieren. Denn die Winzer mussten nach der Phylloxera-Katastrophe ihre Weinberge komplett neu anlegen.» Und Sella & Moscas Rebschule belieferte ganz Europa mit resistenten Jungpflanzen. «Damals, das war um das Jahr 1905, verfügte das Unternehmen über ein umfangreiches Portfolio an Rebsorten. Ich habe einen Katalog von damals gefunden, da sind 1600 Varietäten aufgeführt, darunter auch Torbato.» Und so kam die Sorte zu Sella & Mosca – und blieb. Wenn man’s genau nimmt, ist Torbato aber keine echte Sardin. «Sie gehört zur grossen Familie der Malvasia-Trauben, Synonyme sind Malvoisie du Roussillon und Malvoisie des Pyrénées. Wie die meisten Reben hat sich auch Torbato von der Wiege der Rebe im ägäischen Meeresbecken in alle Richtungen ausgebreitet, sie folgte den Handelsströmen und den Bewegungen der Völker», erzählt Giovanni Pinna. Anfang des Jahres 1200 verbreitete sich der Malvasia-Wein im gesamten Mittelmeerraum, auch in den Pyrenäen. Und weil Alghero 1353 bekanntlich von Pedro IV de Aragón und den Katalanen erobert wurde (mehr dazu unter «Mein Alghero»), gelangte Torbato schliesslich von den Pyrenäen nach Sardinien.

Terre Bianche

Wächst auf kalkhaltigen Böden, wird im Stahltank ausgebaut und duftet sortentypisch nach Bergamotte und Kernobst. Herrlich frisch. Zum Apéro, zu Fisch.




Torbato prickelt in verschiedenen GläsernTorbato prickelt in verschiedenen Gläsern

Vielseitig: Torbato in Still und Prickelnd.


Autochthon und sortenrein

Wir gehen zu Fuss zurück zur Tenuta, wo Sella & Mosca nicht nur Kellerei und Büros hat, sondern auch ein schmuckes Bed & Breakfast betreibt, Casa Villamarina. Unter grossen Sonnenschirmen sitzen die ersten Gäste schon beim Aperitivo. Wir gehen rein ins restaurierte Gutsgebäude. «Auch wenn Torbato also nicht ursprünglich sardisch ist, denke ich, dass wir nach über 600 Jahren Geschichte, allein hundert davon auf unserem Weingut, von einer autochthonen Sorte sprechen dürfen. Zudem wird anderswo, wo Torbato Malvasia du Roussillon heisst, fast nie in Reinform vinifiziert.» Bei Sella & Mosca hat aber genau das Konzept. 90 Prozent der Weine werden sortenrein aus Vermentino, Cannonau oder Torbato hergestellt, die Rebsorte steht dabei immer im Mittelpunkt. Aus Torbato keltert Giovanni Pinna sechs Versionen, drei Spumanti, drei Stillweine. Eine grosse Liebe? «Ja. Die Sorte ist nicht so üppig wie beispielsweise Vermentino. Sie hat ihren ganz eigenen Charakter, weniger blumig, weniger exotisch, etwas französischer vielleicht.» Und weil nicht zu üppig, eigne sich Torbato auch perfekt für den prickelnden Stil – mit Tankgärung oder nach der klassischen Méthode Champenoise. Nun ist aber das warme Sardinien kein klassisches Schaumweingebiet, oder? «Klar, da gibt es bekanntere Regionen, etwas die Franciacorta oder Südtirol.» Doch Giovanni Pinna hat einige 40 Jahre alte Flaschen gefunden, «Torbato brut» auf den vergilbten Etiketten. «Sardischer Spumante ist also keine Modeströmung, sondern gehört zur Insel wie der Prosecco zum Veneto.»


 Dies unterstreicht einmal mehr der Blick in die Geschichte. Alghero war die erste Stadt Sardiniens, die sich in den 1960er und 1970er Jahren langsam für den Tourismus öffnete. «Sie war das goldene Tor der Insel, lange bevor die Costa Smeralda bekannt wurde.» Zu dieser Zeit hätten die ersten Sardinien-Touristen die Fischküche der Insel entdeckt und etabliert, eine Küche, die zuvor mehr eine «cucina di terra» war, eine Landküche mit Fleisch und Gemüse. Und so trank man zu Fisch und Krustengetier Torbato brut. «Gott sei Dank haben sich die Leute schon damals von dieser schrecklichen Kombination Spumante und Panettone befreit.» Giovanni Pinna lacht.


Bed & Breakfast von Sella & Mosca mit gemütlicher TerrasseBed & Breakfast von Sella & Mosca mit gemütlicher Terrasse

Lauschig: Sella & Mosca betreibt auch ein Bed & Breakfast.


Torbato brut

Frische Zitrusfrucht, blumige Noten, feine Mousse – kurz: erquickend frisch! Passt hervorragend zu frittiertem Fisch. Oder wer’s leichter mag: Sashimi und Sushi.


Terre bianche cuvée

Teilweise in der Barrique vergoren und auf der Hefe gereift. Duftet nach frischen Blüten und reifer Frucht. Schöne Mineralität, schmelzende Textur. Zu Krustentieren.




Bed & Breakfast von Sella & Mosca mit gemütlicher TerrasseBed & Breakfast von Sella & Mosca mit gemütlicher Terrasse

Künstler-Edition für repräsentative Sorten

Damit im heissen Sardinien frische Schaumweine entstehen, muss relativ früh gelesen werden. «Wir ernten im September, damit die Torbato-Trauben ihr wertvolles Säurerückgrat bewahren, das ist für die Reifung auf der Hefe zentral.» Torbato brut vollzieht die zweite Gärung im Drucktank (metodo charmat), Oscarì wie ein Champagner in der Flasche (metodo classico). Ersterer leuchtet strohgelb im Glas und duftet nach Akazienblüten, Pink Grapefruit, Brotkruste. «Torbato brut hat die sortentypische Zitrusnote, aber mehr in Richtung Orange, kandierte Zitrusfrucht.» Oscarì reift 24 Monate auf der Hefe und präsentiert sich reichhaltiger, lang anhaltender, mit dem herrlichen Duft von Orangenblüte und Brioche. «Torbato brut ist einer unserer Erfolgsweine, Oscarì macht gerade seine ersten Schritte, ich mag ihn sehr.» Und er fällt auf! Die Etikette hat der international bekannte sardische Künstler und Modedesigner Antonio Marras gestaltet. «Wir haben zusammen mit Marras aus unseren repräsentativsten Traubensorten – Vermentino, Cannonau, Torbato – eine neue Weinlinie geschaffen, mit vier Charakteren, die die Weine verkörpern. Oscarì ist ein Algherese, der in Paris gelebt hat, elegant, spritzig, ein bisschen gaga.» Und aus der Marras-Linie findet sich ein zweiter Torbato im Sortiment, in der Stillversion: «Catore ist ein Boxer aus Villanova. Sein Spitzname setzt sich aus den Namen zweier berühmter Boxer zusammen: des Amerikaners Cassius Clay und des in Alghero geborenen Tore Burruni, der vor einem halben Jahrhundert den Weltmeistertitel im Fliegengewicht gewann.» Und so, energiegeladen und herzhaft mit dem Duft mediterraner Kräuter, präsentiere sich auch der Wein. «Catore ist der Höhepunkt eines langen Forschungsprozesses über Torbato. Die Trauben wachsen auf kalkhaltigem Boden, und das Salz des Meeres verleiht dem Wein Frische und die für uns so typische Würze.» Oder «sapidità», wie Giovanni Pinna sagen würde.



Oscarì

In der Flasche vergoren und ein Jahr auf der Feinhefe gereift. Ein cremiger Schaumwein, frisch und mit zarten Orangenblütennoten. Ein Traum zu Blätterteiggebäck.



Catore

Ein Torbato mit Tiefgang: vollmundig, würzig, energisch und mit dem Duft mediterraner Kräuter. Teilweise in der Barrique vergoren. Zu Spaghetti alle vongole.



Rebenmeer von Sella & Mosca in SardinienRebenmeer von Sella & Mosca in Sardinien

Rebenmeer: Torbato, so weit das Auge reicht.


Die Nähe zum Meer

Genau, das Meer. Zwar geniessen die Reben von Sella & Mosca keinen direkten Blick auf die Wellen, aber bei den Weissweinen von Sella & Mosca glaubt man tatsächlich, das Salz auf den Lippen zu spüren. Sapidità. «Die Saftigkeit und Mineralität unserer Weine kommt effektiv von der Nähe zum Mittelmeer.» Das haben Pinna und sein Team sogar in einem Experiment belegt. «Ich erinnere mich gut, es war der 5. April 2019, der Mistral fegte von Norden über unser Land, es war frisch, um nicht zu sagen kalt. Fast alle unsere Rebzeilen verlaufen in Nord-Süd-Richtung, und so sammelten wir Blätter von der windexponierten sowie der windabgewandten Seite, legten sie in destilliertes Wasser und analysierten sie im Labor. Das Resultat war, dass die Nordwestblätter zehnmal mehr Natriumchlorid auf der Oberfläche hatten.» Der Geschmack des Meeres ist also nicht bloss eine schöne Geschichte …

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