Piazza del Plebiscito in NeapelPiazza del Plebiscito in Neapel

Unterwegs mit Piero Mastroberardino

Eine Stadt, wo man an jeder Ecke gut isst. Wo Paläste neben Armenvierteln stehen. Wo man ständig mit Unbekannten ins Gespräch kommt. Und wo man sich in den engen Gassen immer wieder mit einem Satz vor den Vespas in Sicherheit bringen muss. Neapel ist Faszination pur. Und Winzer Piero Mastroberardino der perfekte Reiseführer.

Gefühlt vierspurig jagen die Autos durch die enge Kurve vor der Stazione Centrale in Neapel. Eine junge Frau schlängelt sich auf einer verbeulten Vespa durch den Verkehr, ihr langes Haar tanzt im Fahrtwind. Ein Rollerfahrer überholt rechts, der Geschäftsmann am Steuer des dunkelblauen Fiat Panda verwirft die Hände. Als Fussgänger schickt man am besten ein Stossgebet zum Himmel und quert dann mit viel Gottvertrauen die Strasse.

Auf der anderen Seite wartet schon Piero Mastroberardino, zehnte Generation der gleichnamigen Winzerdynastie, und lacht. «Der Verkehr bei uns ist fast wie in Indien, vero?» Mastroberardino – chice Sonnenbrille, weisses Hemd, Leder­täschchen – will uns heute «sein Napoli» zeigen und hat, ganz Italo-Style, Verstärkung mitgebracht: Giuseppe «Pino» Calabrese, leidenschaftlicher Hobbyfotograf und Pieros rechte Hand, sowie Elio Ondino, E-Zigarette und Lederloafers, er ist Napoli-Sales-Agent und wohnt mitten im Zentrum. Los geht’s – in den Untergrund. 

Winzer Piero Mastroberardino führt uns durch Neapel Winzer Piero Mastroberardino führt uns durch Neapel

Winzer Piero Mastroberardino ist seiner Heimat sehr verbunden. Wegen seines Engagements für die autochthonen Sorten Kampaniens gilt er als Rebenretter Süditaliens.


Stadtplan von NeapelStadtplan von Neapel

Auf Tauchgang in der Metro

1839 wurde hier, an der Stazione Garibaldi, Italiens erste Eisenbahnlinie in Betrieb genommen, zwischen Neapel und dem ebenfalls am Golf gelegenen Portici, wo Ferdinand Karl II., König beider Sizilien, seine Sommerresidenz hatte. Wer heute durch die Stadt kommen möchte, nimmt am besten die Metropolitana. Die ist nicht nur schnell, sondern auch schön: Die Stationen der Linie 1, Metro dell’Arte, wurden von Künstlern gestaltet. «Die imposanteste Haltestelle ist Toledo. Sie wurde als schönste U-Bahn-Station Europas ausgezeichnet, ein Entwurf von Oscar Tusquets Blanca», sagt Piero Mastroberardino. Wir stellen uns in eine lange Schlange am Tickethäuschen, Automaten wie anderswo scheinen hier nicht so populär. Vielleicht, weil den Neapolitanern ein kleiner Schwatz immer willkommen ist? Die Menschenmasse schiebt uns die Treppe runter und rein in den überfüllten Metrowagen. Und als wir bei Toledo aussteigen, tauchen wir ein in ein Meer aus funkelnden blauen Mosaikplättchen. «Dieses Kunstwerk heisst ‹Wasser und Licht›, es ist, wie wenn man vom Meeresgrund auftaucht», sagt Piero Mastroberardino auf der langen Rolltreppe, die uns aus 50 Meter Tiefe wieder nach oben befördert. Magisch.

Frischer wird’s nicht: Fischer Giovanni mit Papà Franco.Frischer wird’s nicht: Fischer Giovanni mit Papà Franco.

Metro Toledo

Statt dunkel und ungemütlich präsentieren sich die U-Bahn-Stationen der Linie 1 als schillernde Kunstwerke – allen voran die Station Toledo mit ihrem Meer aus glitzernden Mosaikplättchen. Zu sehen und erleben sind im Rahmen des Stadtprojekts «Metro dell’Arte» mehr als 250 Werke – ein faszinierendes Freilichtmuseum im Untergrund.

metroart.anm.it


Sympatische Verkäuferin im Cuori di SfogliatellaSympatische Verkäuferin im Cuori di Sfogliatella

Sfogliatelle und Caffè sospeso

Draussen erwarten uns gleissendes Sonnenlicht und der Rummel von Neapels geschäftigster Einkaufsstrasse Via Toledo. Zeit für einen Caffè – und ein süsses Stück Napoli. «Gehen wir zu Pintauro, das ist die älteste Sfogliatelleria der Stadt», sagt Pino. Doch wir stehen vor verschlossenen Türen und kehren kurzerhand bei Cuori di Sfo­gliatella ein. «Das Schöne an Napoli ist: Es kommt gar nicht so drauf an, wo man reingeht, man isst praktisch überall ausgezeichnet», sagt Piero Mastroberardino und bestellt eine Runde Caffè und Dolci. Neben der klassischen Sfogliatella riccia, einer Art fein gefächertem Strudelteig in Muschelform, herrlich knusprig und gefüllt mit Ricotta, essen hier an der Bar alle Sfo­gliatella frolla: süsse Ricottamasse und kandierte Früchte in einem Mürbeteig – noch warm und wie der Neapolitaner zu sagen pflegt: uno spettacolo! Beim Hinausgehen raunt uns Piero zu: «Habt ihr die Signora am Tresen beobachtet? Sie hat drei Caffè bestellt, aber sie waren nur zu zweit. Due per noi, e uno sospeso – zwei für uns, und einen für den Nächsten – den Nächsten, der ihn nicht bezahlen kann. Das ist hier so üblich.» 

Köstliches Sortiment der Cuori di Sfo­gliatellaKöstliches Sortiment der Cuori di Sfo­gliatella

Cuori di Sfogliatella

Besser kann man nicht in den Tag starten: Sfogliatella und Caffè. Und das Schöne an Neapel: Eigentlich kommt es gar nicht so genau drauf an, wo man einkehrt. Eine gute Adresse für ofenfrisches Gebäck ist die Bäckerei Cuori di Sfogliatella in der zentralen Via Toledo. Ihr Credo: Mettici il cuore sempre – sei immer mit dem Herzen dabei.

Via Toledo 271
cuoridisfogliatella.it


Piero Mastroberardino gönnt sich etwas SüssesPiero Mastroberardino gönnt sich etwas Süsses

Süss macht glücklich.


Wunderschön!

Ein paar Schritte weiter: die Galleria Umberto, eine gedeckte Einkaufspassage, 56 Meter hoch, zwischen 1887 und 1890 erbaut und König Umberto I. aus dem Hause Savoyen gewidmet. «Sie ist der Zwillingsbau der berühmten Galleria Vittorio Emanuele in Mailand. Und schau, gleich gegenüber befindet sich unser Teatro San Carlo, das wichtigste Opernhaus Europas.» Und während wir mit den Köpfen im Nacken die gläserne Kuppel, die stuckverzierten Marmorwände bestaunen, spricht uns ein Mann im breiten Dialekt an und stellt sich als Antonio vor. Er verkauft Postkarten mit Zeichnungen der wichtigsten Sehenswürdigkeiten. Statt ihn abzuwimmeln, kommt Piero mit dem Mann ins Gespräch, es wird gelacht, gescherzt. «Ciao Anto», ruft Piero zum Abschied, fast, als wäre er ein guter Freund. «Es ist der Stolz von uns Neapolitanern, einer Person auf der Strasse ein Gefühl von Freundschaft zu vermitteln, obwohl man sie wohl nie wiedersehen wird.» Neapel sei «piena di umanità», eine Stadt voller Menschlichkeit. Piero Mastroberardino kommt nochmals auf die Tradition des Caffè sospeso zurück. «Als sich die wirtschaftliche Lage verschlechterte, gab es vielerorts auch Pizza sospesa.» Er habe einen Freund in Amerika, ursprünglich ein Pizzaiolo aus Napoli, der in einem Viertel mit vielen Obdachlosen lebe. Auch er pflege diese Sitte – selbstverständlich.


Blick in die Glaskuppel der Galleria UmbertoBlick in die Glaskuppel der Galleria Umberto

Galleria Umberto

Ein Prachtbau aus dem 19. Jahrhundert: Während die imposante Glaskuppel 56 Meter in den Himmel ragt, ist der Marmorboden mit Mosaiken der Tierkreiszeichen geschmückt. Wunderschön!

Via San Carlo 15


Palazzo Reale in NeapelPalazzo Reale in Neapel

Neapel, Paris, Sankt Petersburg

Am Theater vorbei geht’s zum Palazzo Reale. Piero Ma­stroberardino deutet nach rechts. «Hier drüben befinden sich die Quartieri Spagnoli, ein altes Viertel und eines der bevölkerungsreichsten und ärmsten im Zentrum. Und nur ein paar Meter weiter stehen wir vor dem Königspalast.» Auch hier wieder: Arm und Reich nah beisammen. Vor dem Palazzo eröffnet sich die gigantische Piazza del Plebiscito, eindrücklich in ihrer Dimension – und bis vor wenigen Jahrzenten noch als Parkplatz missbraucht. «Nun, bis in die 1970er Jahre nahm man den Denkmalschutz bei uns nicht so wichtig.» Piero zuckt mit den Schultern und grinst.

Vor dem Palazzo sind acht verschiedene Herrscher Neapels in Stein gemeisselt, König Umberto I. liess die Statuen 1888 errichten. Die Galerie reicht von der normannischen Dynastie unter Roger II. über Staufferkönig Friedrich II., Karl I. von Anjou bis Vittorio Emanuele II. aus dem Haus Savoyen. Griechen, Römer, Habsburger, Bourbonen, alle haben sie in Neapel ihre Spuren hinterlassen. «Im 18. Jahrhundert, unter den Bourbonen, wurde Neapel zu einer der drei wichtigsten Städte Europas – und blieb dies ein gutes Jahrhundert lang. Neapel, Paris und Sankt Petersburg wiesen viele Ähnlichkeiten auf», sagt Mastroberardino und outet sich als Geschichtsfreak. «Die Paläste Neapels sind die Paläste von Paris, denn die Architekten waren alles Italiener. Diesen immensen kulturellen Einfluss von Napoli können wir wohl gar nicht richtig einschätzen.» 

Palazzo Reale

Wo früher die Könige residierten, befinden sich heute die öffentliche Nationalbibliothek und ein Museum, wo man die königlichen Gemächer und Säle bestaunen kann. Vor dem Königspalast öffnet sich die imposante Piazza del Plebiscito, der grösste Platz Neapels – und bis in die 1970er Jahre ein Parkplatz.

Piazza del Plebiscito 1
palazzorealedinapoli.org


Neapolitanischer Barock

Wir flanieren weiter und landen auf der Spaccanapoli, einer langen Strasse, die die Altstadt messerscharf in Nord und Süd teilt. Darum auch der Name: Spaccare bedeutet so viel wie teilen. Piero Mastroberardino bleibt an einem Strassenstand mit alten Büchern und Schallplatten hängen und verrät, dass er bei einer lokalen Radiostation mal seine eigene Rocksendung hatte, jeden Abend zwei Stunden. Der Mann steckt voller Überraschungen! Wir befinden uns nun im historischen Kern der Stadt – und stehen plötzlich vor einer geheimnisvollen Kirche wie aus einer anderen Welt. Die komplette Fassade der im 16. Jahrhundert erbauten Gesù Nuovo besteht aus Pyramiden aus schwarzem Lavastein, beim genauen Hinsehen entdeckt man kryptische Zeichen. «Seit jeher wird über deren Bedeutung gerätselt, eine Vermutung ist, dass es sich um Musiknoten handelt. Aber wer weiss das schon so genau?»

Die teilt Neapels Altstadt messerscharf in Nord und SüdDie teilt Neapels Altstadt messerscharf in Nord und Süd

Teilt die Altstadt messerscharf in Nord und Süd: Spaccanapoli.


Geheimnisvoll: die Kirche Gesù Nuovo.


Gesù Nuovo

Eine der bedeutendsten und grössten Kirchen der Stadt. Im Innern typisch neapolitanischer Barock, draussen versetzt die rätselhafte Fassade mit Diamantquadern in Staunen.

Piazza del Gesù Nuovo 2



Piero Mastroberardino vor der Charcuterie Esposito in NeapelPiero Mastroberardino vor der Charcuterie Esposito in Neapel

Charcuterie Esposito

Ein Delikatessengeschäft wie aus dem Bilderbuch. In den übervollen Regalen stapeln sich Pasta, Oliven, Sugo, Eingemachtes, Weine. Und an der Theke gibt’s frische Panini mit Käse und Charcuterie vom Feinsten.

Via Benedetto Croce 43

Pasta cresciuta und Bufala to go

Winzer Piero Mastroberardino lebt nicht in der Stadt, sondern im grünen Hinterland Kampaniens, in der Provinz Avellino, wo auch seine Rebberge stehen. Doch, man merkt es, er liebt Neapel. «Als Junge kam ich oft hierher, jeder zweite Sonntag war der neapolitanischen Familie meiner Mutter gewidmet. Damals in den 1970er Jahren gab es sonntags kaum Verkehr, und ich fuhr mit meinem Nonno in seinem Maggiolino – so heisst der VW Käfer auf Italienisch – aus, um Pasta cresciuta zu kaufen. Das sind frittierte, salzige Teigbällchen.» Am Nachmittag verfolgten dann alle vor dem Radio das Spiel von Napoli. «Wir sind in Neapel alle fussballverrückt!» Und während Piero Mastroberardino erzählt, kreuzen wir in einer engen Gasse des Centro Storico eine Familie, jeder mit einer Aluschale mit Büffelmozzarella in der Hand, ein Zahnstocher als Gabel. «Das ist unser Streetfood. Manchmal essen wir das auch zu Hause zu Abend.» Wir kriegen langsam Hunger und Piero steuert zielstrebig in Richtung Charcuterie Esposito .

«Senti i profumi? Riechst du, wie das duftet? Hier sind alle kulinarischen Köstlichkeiten unserer Heimat versammelt.» Pasta, Salumi, Formaggi, Mozzarella di bufala, Vini … Der kleine Laden ist bis zur Decke voll mit Delikatessen, auch die Weine von Piero Mastroberardino stehen im Regal. Inhaber Antonio Esposito reicht ein Stück Casatiello, eine Art Ringbrot aus Hefeteig, deftig gefüllt mit Salami, Pecorino romano, Pfeffer, Ei, Schweineschmalz – eigentlich ein traditionelles Ostergebäck. Anerkennendes Nicken von der ganzen Truppe: «Eccellente! Uno spettacolo!» Unsere Neapolitaner sind ganz aus dem Häuschen! Und weil wir schon dabei sind, gibt’s dazu einen grosszügigen Schluck Limoncello aus dem Plastikbecher. «Dieser Limoncello ist nicht aus den Zesten, sondern aus den Blättern der Amalfizitrone gemacht. Nicht zu süss und mit einer leichten Bitternote», schwärmt Inhaber Antonio.


Weihnachtskitsch – und Pizza!

Wie verlassen das Delikatessengeschäft in Richtung Via San Gregorio Armeno , wo zur Weihnachtszeit ganz Neapel seine Krippenfiguren einkauft. Eine ganze Strasse, vollgestopft mit Kitsch und Klimbim, von Engeln, Ochsen, den drei Königen auf Kamelen bis zu Superman und Fussballer Maradona in Lebensgrösse. «Es gibt Verrückte, die bauen ganze Dörfer, sogar mit Licht und fliessend Wasser.» Kurz vor Weihnachten komme man hier nicht mehr durch die Gassen, so voll sei es. Und wieder quatscht uns ein Strassenverkäufer an. «Ein anderer Antonio», scherzt Piero Mastroberardino. Statt Postkarten verkauft dieser kleine Anhänger mit roten Plastikhörnchen, die aussehen wie Chilischoten. «Curniciello – das ist unser klassischer Glücksbringer gegen den bösen Blick.» 


Via San Gregorio Armeno

Wer Weihnachten liebt oder ein Faible für Kitsch hat, ist hier goldrichtig: In den kleinen Läden und Handwerksateliers kauft tutto Napoli seine Krippenfiguren ein. Ein Spektakel!

Via San Gregorio Armeno


In den Strassen von Neapel ist auch viel Kitsch von Maradona zu findenIn den Strassen von Neapel ist auch viel Kitsch von Maradona zu finden
Glücksbringer: Curniciello gegen den bösen BlickGlücksbringer: Curniciello gegen den bösen Blick

Glücksbringer: Curniciello gegen den bösen Blick.


Typisch Neapel: Immer mit Vollgas unterwegs.



Weine von Mastroberardino

  1. - +
    Italien, Kampanien
    2021
    100 % Aglianico

    75 cl
    Aglianico – Irpinia doc, Mastroberardino
    CHF17.50
  2. - +
    Italien, Kampanien
    2023
    100 % Greco di Tufo

    75 cl
    Greco di Tufo docg, Mastroberardino
    CHF19.00
  3. - +
    Italien, Kampanien
    2023
    100 % Piedirosso

    75 cl
    Lacryma Christi del Vesuvio rosso doc, Mastroberardino
    CHF18.00
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