Blick in die Rebberge des PiemontsBlick in die Rebberge des Piemonts

Barbera

Säuerlich, ungeschliffen, bestenfalls rustikal. Barbera fristete im Piemont lange Zeit ein Aschenputtel-Dasein im langen Schatten von Nebbiolo. Doch dank eines visionären Winzers änderte sich das Schicksal in den 1980er Jahren. Giacomo Bologna verlieh dem Rotwein noch nie gesehenen Glanz und zeigte der ganzen Welt sein Potenzial.

Ein kleines Mädchen steht in der Küche. Sie beobachtet, wie ihr Vater sein Ohr an eine Flasche Wein hält. «Wie klingt der Wein, Papa?» «Der Wein gärt und spielt. Er ist fröhlich und unbändig, genau wie du! Deshalb habe ich ihn dir gewidmet.» Diese Szene spielte sich ab in den 1970er Jahren zwischen Giacomo Bologna und seiner Tochter Raffaella in Rocchetta Tanaro, einer 1300-Seelen-Gemeinde in der Nähe von Asti. Im Zentrum des Geschehens stand der erste Wein der Kellerei Braida: La Monella, auf Deutsch die Schelmin. Dieser Barbera wurde nach alter Tradition vor dem Abschluss der Gärung leicht prickelnd, mit einem Rest Kohlensäure, abgefüllt.

Diese Machart, «vivace», einem Erfrischungsgetränk nicht unähnlich, erfreut sich bei den Piemontesi grosser Beliebtheit. «Der lebendige Charakter ist das Markenzeichen des La Monella geblieben. Für uns ist er in seiner ursprünglichen Einfachheit perfekt», erzählt Raffaella Bologna auf ihrem Weingut im Monferrato. «Für uns», das sind Raffaella, ihr Bruder Giuseppe und ihr Ehemann Norbert. Den purpurroten, spritzigen La Monella empfiehlt sie kühl, bei etwa acht bis zwölf Grad, zu geniessen. Weil er im Stahltank ausgebaut wird, bewahrt er seine knackigen Aromen: Erdbeeren, reife Kirschen und Blutorange kitzeln die Nase. Das macht ihn sehr zugänglich und leicht zu trinken, ein perfekter Terrassenwein.

Karte Barbera d’AstiKarte Barbera d’Asti

Alles, was recht ist

Die unbestrittene Hochburg der Barbera-Traube liegt in der Umgebung der Stadt Asti. Bereits im Jahr 1970 wurde die doc Barbera d’Asti ins Leben gerufen, doch erst um die Jahrtausendwende erfuhr diese Herkunftsbezeichnung eine dynamische Entwicklung. 2000 wurden drei verschiedene Unterzonen aufgenommen: Nizza, Tinella und Colli Astiani. Ein bedeutender Meilenstein folgte 2008, als Barbera d’Asti, Barbera d’Asti Superiore und Barbera del Monferrato Superiore die Anerkennung einer docg erlangten – die Auszeichnung für höchste Qualität. 2014 folgte die Nizza docg. Barbera d’Asti muss zu mindestens 90 Prozent aus der Rebsorte Barbera gekeltert werden. Damit er sich mit der Bezeichnung Superiore schmücken darf, hat der Wein mindestens 14 Monate zu reifen, davon mindestens sechs Monate im Holzfass.

Dass Braida von Anfang an auf Barbera setzte, ist nicht selbstverständlich. Die Traubensorte geniesst im Piemont zwar seit Jahrhunderten grosse Beliebtheit, ihre Verbreitung ist jedoch nicht allein ihrer facettenreichen Persönlichkeit geschuldet. Vielmehr sind es andere Tugenden: Selbst in schlechten Jahren und auf kargen Böden wirft die Barbera-Rebe zuverlässig viel Ertrag ab. Zudem können ihr gängige Krankheiten wie echter oder falscher Mehltau und selbst die Reblaus nur wenig anhaben. Somit ist sie eine sichere Einnahmequelle. Doch viele Trauben am Stock bedeuten auch wenig Geschmack und eine mundwässernde Säure. Diese Eigenschaften brachten den Barbera in Verruf. Er galt lange Zeit als robuster und ungehobelter Volkstropfen, der eher einem Grundnahrungsmittel glich als einer Gaumenfreude.

Das musste auch Giacomo Bologna auf einer Weinmesse in Bordeaux erleben. «Die Franzosen verschmähten seinen damaligen La Montella. Doch das wollte er nicht auf sich sitzen lassen. Er wälzte Fachliteratur und belegte Önologiekurse in Frankreich», entsinnt sich seine Tochter.

Die Geschwister Giuseppe und Raffaella BolognaDie Geschwister Giuseppe und Raffaella Bologna

Die Geschwister Giuseppe und Raffaella Bologna haben Barbera im Blut.

Der steinige Weg

Während seine Kollegen auf Masse setzten, rückte Bologna den Barbera-Stöcken mit einem strengen Schnitt im Winter zu Leibe, dünnte sie im Frühjahr aus und eliminierte grüne Trauben im Sommer. Was er nicht dem Zufall überlassen musste, kontrollierte er. Die Sorgfalt im Weinberg zahlte sich aus. Das Lesegut legte merklich an Qualität zu. Die Beeren wurden aromatischer und die Säure weniger spitz. Ein augenöffnendes Erlebnis hatte der Weinbauer 1978 auf einer Studienreise in Kalifornien. Aus dem Piemont eingewanderte Winzer hatten Barbera aus der alten Heimat mitgebracht und bauten die Rebe mit Erfolg an – kein Vergleich zum banalen Rosso daheim. Ausserdem erfuhr er vom berühmten Önologen André Tchelistcheff, dass die Universität Davis die Barbera-Traube seit einiger Zeit studierte. Während Barbera zu Hause als bescheidener Tischwein abgetan wurde, war die Rebsorte in den USA aufstrebend. Dieser Umstand beflügelte Giacomo Bologna und gab ihm ein klares Ziel: die Herstellung eines herausragenden Barberas, der sich mit den besten Weinen seiner Zeit messen konnte – einer, der sich in die Reihe der renommiertesten Baroli, Brunelli und Supertoskaner einreihen würde!

Nach seiner Rückkehr begab sich Bologna auf die Suche nach dem optimalen Weinberg für seinen Premium-Barbera und wurde bald fündig. Der Bricco dell’Uccellone, der «Hügel des grossen Vogels», erwies sich dank seiner mittelschweren ton- und sandhaltigen Böden als ideal, da sich hier das Wasser nicht staute. Zugleich experimentierte Bologna während dreier Jahre eifrig im Keller. Er musste die Struktur verfeinern und den geringen Tanningehalt in den Griff bekommen. Bei der Vinifikation war das traditionelle Problem immer der Säuregehalt. Früher widerstand der Barbera meist dem biologischem Säureabbau, einem natürlichen Prozess, bei dem die sauer schmeckende Apfelsäure im Wein durch Milchsäurebakterien in mildere Weinsäure umgewandelt wird. Der Schlüssel zum modernen Barbera war es, diese sogenannte malolaktische Gärung abzuschliessen. Durch die reiferen Früchte, die auch weniger Säure enthielten, ging das nun besser. Auch die althergebrachten Kastanienfässer liess Bologna links liegen und schaffte sich stattdessen neue französische Barriques an. Diese verliehen dem Wein nicht nur mehr Würze, sondern gaben auch Eichentannine ab, die ihm zusätzliche Substanz verliehen.

Die klassische – leicht prickelnde – Art von Barbera, die im Stahltank vinifiziert und so ausgebaut wird, dass die erquickende Kohlensäure erhalten bleibt. Das Nonplusultra auf der fröhlichen Grillparty.

Der Wegbereiter aller modernen Barberas, präsentiert sich unglaublich vornehm und weich, mit eindrücklicher Konzentration und ebensolchem Gehalt. Im Bouquet herrliche Duftnuancen von reifen Beeren, Obst und Pfefferminze.


Die Zeitenwende

1984 feierte der Bricco dell’Uccellone sein Debüt: der erste reinsortige Barbera, der in der Barrique verfeinert wurde. Ein Paukenschlag! Dieser Barbera war so ganz anders als das, was man bisher kannte. Es war der Beweis, dass Eichenwürze dem nach Kirschen und Pflaumen duftenden Barbera hervorragend steht. Und bis heute fasziniert der Tiefgang des Bricco dell’Uccellone. Bereits beim Anheben des Glases erschnuppern wir eindeutig Waldbeeren und Kirschen. Beim ersten Schwenken nehmen wir einen Hauch Minze wahr, riechen Kaffee. Im Gaumen kommen seine würzigen Noten zum Tragen. Kakao und Lakritz gesellen sich zur Frucht, ergänzen sich perfekt zu einem voluminösen, dicht gewobenen Wein. «Traditionalisten konnten damit nichts anfangen. Aber in Blindverkostungen kam der neue Stil an», erinnert sich Raffaella Bologna. Das inspirierte zahlreiche Weinproduzenten im gesamten Anbaugebiet, diesem avantgardistischen Weg zu folgen. Der Bricco dell’Uccelone wurde zum Synonym für erstklassigen Barbera.

Vito Palumbo am Fusse des Castel del MonteVito Palumbo am Fusse des Castel del Monte

Raffaella Bologna mit ihrem Vater, dem legendären Winzer Giacomo Bologna.

Giacomo Bologna ging bis zum Schluss unbeirrt seinen eigenen Weg. Zeugnis davon ist sein letztes Werk «Ai Suma». 1989, nur ein Jahr vor seinem Tod, schlug er alle Ratschläge in den Wind. Er führte am 16. Oktober eine Barbera-Spätlese durch. «Ai Suma! Wir haben es geschafft!», rief er aus, als er den Wein probierte: Ein neuer Barbera-Stil wurde aus seiner Hartnäckigkeit geboren. Und auch hier zeigt sich, wie meisterhaft Bologna die Säure beherrschte. Sie konzentriert sich in den spät gelesenen Trauben und schenkt dem sinnlichen, opulenten Ai Suma Eleganz und eine hervorragende Ausgewogenheit. Ganz gleich, welche Weinlaune sich einstellt – sei es die Lust auf Frische, die Sehnsucht nach Raffinesse oder der Wunsch nach einem Meditationswein – Barbera erweist sich als die passende Wahl. Dies verdanken wir der leidenschaftlichen Arbeit eines Mannes, der den Mut besass, gegen den Strom zu schwimmen.



Perfect Match

Barbera ist eine vielseitige Rebsorte, die sich hervorragend kombinieren lässt. Aufgrund seiner intensiven Frucht, der angenehmen Säure und der sanften Tannine geht der Wein eine perfekte Liaison mit piemontesischen Klassikern ein: etwa mit Carne all’albese (die lokale Tatarversion) oder der Pastaspezialität Agnolotti. Doch auch einen Ausflug in die Weltküche, beispielsweise zu einem marokkanischen Schmorgericht mit warmen Gewürzen, macht Barbera dank seines weichen Körpers mit.

Perfekte Kombination: Carne all’albese und ein Glas BarberaPerfekte Kombination: Carne all’albese und ein Glas Barbera

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