«Als Region der Kontraste» wird das Südtirol auch bezeichnet. Zwischen Ostalpen und Dolomiten trifft Stadtgetümmel auf Landleben, deftige Knödel auf feine Pasta und Deutsch auf Italienisch – und Ladinisch, eine rätoromanische Sprache und die dritte Amtssprache der Region. «Wir bevorzugen den Ausdruck ‹Region der Vielfalt›», erklärt uns Clemens Lageder am Tag vor unserer Abfahrt am Telefon. Vielfalt wird in der Familie Lageder grossgeschrieben. Alois Lageder, der Vater von Helena und Clemens, verschrieb sich schon in den 1980er Jahren der Biodynamie. Sein Ziel: Durch Artenvielfalt sollen fruchtbarere Böden, eine gesündere Landwirtschaft und schlussendlich charakterstarke Weine entstehen. Heute liegt das Familienunternehmen in den Händen der sechsten Generation.
Über das Engadin erreichen wir das Südtirol. Dieser Landstrich, der heute ausnahmsweise von garstigem Wetter geprägt ist, ist durchzogen von scheinbar endlosen Strassen. Vorbei an perfekt aufgereihten Rebstöcken und saftig grünen Bäumen. Apfelanbau und Weinbau – es sind die zwei grossen und vor allem finanzstarken Monokulturen, die heute den fruchtbaren Südtiroler Boden dominieren. Wir folgen der «Strada del vino», der Südtiroler Weinstrasse, die uns zum Casòn Hirschprunn führt, dem historischen Ansitz der Winzerfamilie Lageder. Die dunklen Wolken haben sich verzogen. «Habt ihr gleich auch die Sonne mitgebracht?», ruft uns Helena Lageder zu. Mit 300 Sonnentagen im Jahr ist man es sich in Südtirol nicht anders gewohnt. «Kommt, wir trinken erstmals einen Kaffee», fügt Clemens an. Tiroler Charme und italienische Leichtigkeit – so viel zu den Kontrasten. Helena und Clemens führen uns durch den Innenhof in den prächtigen Garten des Palazzo. «Biodynamie geht über die ökologische Landwirtschaft hinaus. Es geht darum, den Weinberg und die Landwirtschaft als lebendigen Organismus zu betrachten, in dem alles miteinander verbunden ist», erklärt Clemens. «Unser Vater hat den Grundstein gelegt, wir entwickeln seine Vision weiter», sagt Helena. Ein harmonisches Miteinander von Pflanzen und Tieren, von Mensch und Natur – so die Philosophie des Unternehmens.
Während wir durch den weitläufigen Garten schlendern, staunen wir über die Pracht des schlossähnlichen Anwesens. Eingebettet in eine liebliche Landschaft, umgeben von schroffen Bergen spiegelt der Casòn Hirschprunn durch die Verbindung von italienischer Renaissance und süddeutschem Barock die Südtiroler Tradition wider. Ansitz, so werden diese Bauten hier genannt. Im südlichen Teil der Region findet man viele davon. Sie wurden im 12. Jahrhundert von wohlhabenden Familien erbaut, um die Weinberge rund um Margreid zu verwalten. «Die erste Erwähnung des Casòn Hirschprunn findet man in Schriften aus dem 14. Jahrhundert. Geschrieben von der Familie Gaun von Löwengang – einen unserer Weine haben wir nach ihnen benannt, der Gaun Chardonnay», erzählt Clemens. Ursprünglich im romantisch-gotischen Stil erbaut, wurde der Palazzo im 16. Jahrhundert von der Familie Prunner im Renaissancestil umgestaltet. Die Prunners hielten sich zwei Jahrhunderte lang hier auf und entwickelten den Casòn vom bäuerlichen Hof zu einem stattlichen Ansitz. Ihnen verdankt das Anwesen auch den Namen «Hirschprunn». 1991 erwarb die Familie Lageder dann den Ansitz, um ihre Weinbauflächen zu erweitern. Heute, noch immer im Besitz der Lageders, dient Casòn Hirschprunn als Veranstaltungsort für Hochzeiten und Filmshootings.
Wir steigen in Clemens’ Auto und fahren zu den familieneigenen Reben am Römigberg. «Vorsicht beim Aussteigen, hier ist immer der Pfau unterwegs», warnt Helena. Das ist keine Südtiroler Redewendung. Da schreitet wirklich ein Pfau durch die Reben! Gleich unter dem Weinberg glitzert ein Teich, in dem Gänse und Enten schwimmen. «Früher hielt eine Bauernfamilie auf ihrem Hof Hennen, Schweine und Kühe und baute Getreide, Gemüse und vielleicht auch Wein an. Das sieht heute anders aus», erklärt Clemens die unterhaltsame Begegnung: «Wir bemühen uns, zu diesem geschlossenen Hoforganismus zurückzukehren.» Bereits seit 20 Jahren setzt das Familienunternehmen in den Weinbergen, die auf 200 bis tausend Metern Meereshöhe liegen, auf biodynamische Landwirtschaft. Und in diesem Jahr hat man einen weiteren Meilenstein erreicht. «Jetzt werden auch alle Flächen unserer Winzerpartner biologisch oder biodynamisch bewirtschaftet», sagt Helena. Der Weinberg Römigberg befindet sich direkt am Kalterer See. Wir steigen die steilen Hänge hoch – hier bietet sich eine atemberaubende Aussicht auf den See und die umliegenden Berge.
Warme Tage, kühle Nächte, ein ideales Mikroklima für den Weinbau. «Der Kalterer See wirkt wie ein Wärmespeicher », erklärt Clemens, der neben der Geschäftsführung auch den Keller und die Landwirtschaft des Unternehmens verantwortet. «Tagsüber speichert er die Wärme und gibt sie nachts ab, wodurch die Reben vor zu starken Temperaturschwankungen geschützt sind. Das Ergebnis sind Weine mit einer lebendigen Säure und einer bemerkenswerten Aromenvielfalt.» In dieser Parzelle sind es vor allem weisse Sorten: Pinot grigio, Chardonnay und die autochthone Gewürztraminer-Rebe. Und zwischen den Rebstöcken wuchern Pflanzen in allen Formen und Farben: wilde Blumen, Mohn, eine Vielzahl an Kräutern. «Wir sehen die Natur als unseren Partner», sagt Clemens. «Und wir sind überzeugt, dass diese enge Verbindung zu unseren Böden und Reben die besten Weine hervorbringt.»
In den Wintermonaten sind im Rebberg sogar Ochsen anzutreffen. Seit einigen Jahren arbeiten die Lageders mit Alexander Agethles Hofkäserei Englhorn zusammen. «Gemeinsam bringen wir jedes Jahr nach dem Sommer die Ochsen von der Alm ins Unterland, in unsere Weinberge, wo sie dank des wärmeren Klimas auch im Winter Futter vorfinden. Die Tiere leben das ganze Jahr über im Freien, sorgen für mehr Diversität und Fruchtbarkeit im Weinberg und helfen uns, dem Ideal des geschlossenen Kreislaufs näherzukommen», erklärt Clemens. So werden die Ochsen, die für die Milchwirtschaft keinen «Nutzen» haben, nicht in Mastbetriebe gebracht und damit Opfer der Massenfleischproduktion, sondern leben mehrere Jahre ganzjährig im Freien, was für eine Alpenregion wie Südtirol einzigartig ist. «Beweidbare Flächen in den Reben auf der einen, Futterknappheit für die Tiere im Winter auf der anderen Seite – je länger die Zusammenarbeit läuft, desto mehr Potenzial sehen wir», erklärt Clemens weiter.
Im Unterland des Südtirols herrschen meist angenehme Temperaturen, was Orte wie den Kalterer See für Wander- und Biketouristen zu einem beliebten Urlaubsziel macht. Nach einem kurzen Spaziergang erreichen wir das Seehotel Ambach, direkt am Seeufer.
Wir setzen uns auf die Terrasse und staunen über den Stil dieses Ortes, der den Geist der 1970er Jahre einfängt. Die Architektur ist geprägt von offenen Räumen und Glasfronten, die bis zum Boden reichen. Das elegant-minimalistische Design mischt Holz mit Kunststoff – was damals als besonders modern galt, strahlt heute einen charmanten Retro-Look aus. Farbakzente, geometrische Muster, weite Terrassen und weisse Loggien prägen dieses auffällige Gebäude. Wenn Meran als Nizza des Südtirols gilt, dann hat das Seehotel Ambach definitiv auch einen Hauch der Côte d’Azur abgekriegt. Während wir einen Schluck Cappuccino nehmen, wirft Clemens einen Blick in die Karte: «Von der einfachen italienischen Küche bis zu den böhmisch, österreichisch angehauchten Nachspeisen – das ist typisch Südtirol», beschreibt er das Menü treffend. Diese doppelte Identität spiegelt sich in der Sprache, in den Traditionen, der Architektur und der Küche wider. Italienisch oder österreichisch? Eine Frage, die wir uns an diesem Tag öfter stellen. Also fragen wir die Lageder-Geschwister. «Das ist natürlich ein Riesenthema – ich sage südtirolerisch! », antwortet Helena. «Ich gehe nur für die italienische Nationalmannschaft und Juventus Turin auf die Strasse», fügt Fussballfan Clemens an und lacht. Serviert werden uns die bestellten Desserthäppchen in modern-mediterranem Stil. Das passt zum minimalistischen Gebäudekomplex, dessen Garten ausgesuchte Designerstücke mitgestalten. «Über die Familie verteilt, sind wir öfter hier. Und wenn man draussen sitzen kann, ist’s natürlich noch schöner», sagt Helena.
Es ist schon Mittag, und wir machen uns auf den Weg zurück zum Casòn Hirschprunn. Zum Essen nehmen wir in der Vineria Paradeis, dem hauseigenen Restaurant der Lageders, Platz. Dieses charmante Restaurant ist das Herzensprojekt von Helena, die neben der Marketing- und Kommunikationsabteilung auch den gastronomischen Bereich des Weinguts führt. «Ich bin früher immer mit meiner Grossmutter in der Küche gestanden. Mein Wunsch war es, das Paradeis zu übernehmen », erzählt die leidenschaftliche Gastronomin. Ganz im Sinne der Lageder-Vision gibt die Natur hier vor, was auf dem Teller landet. Zum Porer Pinot grigio bestellen wir Vitello tonnato und einen gemischten Salat. Das Gemüse für den Salat befand sich am Morgen noch im eigenen Garten inmitten der Reben, dem GrandOrto. Das Vitello tonnato wurde mit Ochsenfleisch zubereitet. «Alles, was der Hof hervorbringt, von den Trauben aus den Weingärten über die eigenen Ochsen und die saisonal variierenden Erzeugnisse des Gartens – all das wird verarbeitet und für die Gerichte unseres Restaurants verwendet», erklärt Helena. Zum Hauptgang werden uns Cavatelli mit Zucchini und geräucherter Ricotta serviert. «Die vielfältigen Aromen unseres Porer Pinot grigio, von Birne, Apfel und Honig bis hin zu einem Hauch von Mandeln, bieten einen spannenden Kontrast und gleichzeitig eine Ergänzung zu den intensiven, würzigen Noten der Pasta mit Gemüse und Ricotta», erklärt Clemens. Darauf nehmen wir einen Schluck.
Wir brechen auf in Richtung Brixen – Bressanone, im Italienischen hier in Südtirol ist fast alles zweisprachig angeschrieben – eine ehemalige Bischofsstadt und eine der ältesten Städte des Südtirols. 427 Kilometer Wanderwege führen Touristen von der Stadt in die Berge. «Ich erspare euch die Wanderung auf die Plose, Brixens Hausberg, auch wenn der Panoramablick von da oben ziemlich beeindruckend ist», scherzt Clemens. Glück gehabt, unsere Beine sind nach dem Gang durch den steilen Römigberg vom Vormittag ohnehin ziemlich schwer. Wir bleiben also im Städtchen, beobachten die Kombination aus Moderne und Tradition beim Spaziergang über die Piazza vorbei am Dom und erleben die ganze Brixner Gastlichkeit im Finsterwirt. Ein Restaurant, das sich in einem der ältesten Bauten der Stadt befindet und einst als Haus der Domherren diente. Ab 1743 nutzten die Domherren das Haus jedoch nicht mehr als Wohnhaus, sondern schenkten hier den sogenannten Zehentwein aus, der ihnen als Zinsleistung abgegeben werden musste. Um die Nachtruhe zu wahren, musste der Schank mit Einbruch der Dunkelheit beendet sein und kein Licht durfte angezündet werden. Doch man hielt sich nicht allzu streng an diese Regelung und trank auch im Dunkeln weiter, so kam die Schenke im Volksmund zu ihrem Namen «Finsterwirt». Zum Versalto Pinot bianco von Alois Lageder bestellen wir einen offenen Raviolo. Eine typisch italienische Pasta, kombiniert mit der Art und Weise, wie Teigwaren in der österreichischen Küche präsentiert werden. Die doppelte Identität in einem Teller – herrlich das Südtirol! Diese Region der Kontraste, die Region der Vielfalt.
Auf den Spuren der Geschichte: Brixen ist eine der ältesten Städte Südtirols.
Vom idyllischen Innenhof über den grosszügigen Park, von den Sälen im Renaissancepalast bis hin zu modernen Räumlichkeiten – Casòn Hirschprunn bildet für jede Veranstaltung die ideale Kulisse.
Casòn Hirschprunn Strasse 1
39040 Margreid
paradeis-aloislageder.eu
In der Hofkäserei Englhorn von Alexander Agethle steht die Wiederansiedlung des Braunviehs ebenso im Fokus wie die Herstellung von Käsespezialitäten. Seit über 200 Jahren im Besitz der Familie mit traditioneller Handwerkskunst und nachhaltiger Landwirtschaft.
Fraktion Schleis 8
39024 Mals
englhorn.com
Retro-elegante Architektur trifft den Charme der 1970er Jahre – direkt am Ufer des Kalterer Sees. Geniessen Sie köstliche Speisen und atemberaubende Ausblicke in einzigartiger Atmosphäre.
Klughammer 3
39052 Kaltern
seehotel-ambach.com
Lernen Sie bei Weinverkostungen die Philosophie von Alois Lageder kennen. Die Führung durchs Weingut wird durch einen Besuch im biologischen Restaurant mit Gerichten aus hofeigenen Produkten perfekt abgerundet.
Casòn Hirschprunn Strasse 1
39040 Margreid
paradeis-aloislageder.eu
Wem historisches Ambiente
und moderne Kulinarik
gefallen, der ist in Brixen
goldrichtig. Der Finsterwirt
serviert raffinierte Gerichte
in einem der ältesten
Gebäude der Stadt.
Domgasse 3
39042 Brixen
adlerbrixen.com/restaurant-finsterwirt
Runter zum Meer führt eine monumentale Steintreppe mit Säulengeländer. Che bellezza! «Siehst du», sagt Michele und deutet nach links, «dort oben beim Dom standen wir eben. Und das hier sind die Strände der Stadt.» Dies ist der Ort, wo ganz Ancona schwimmen geht. Als Kind sei er oft mit Freunden hier gewesen. Und heute gebe es keinen besseren Platz für einen Aperitivo. «Eine kühle Flasche Wein und gute Gesellschaft – mehr braucht es nicht. Und übrigens», fügt er an, «dies ist, glaube ich, der einzige Ort in Italien, wo die Sonne im Meer aufgeht und ins Meer wieder untertaucht.»
Bei uns hat der Tag eben erst begonnen. Möwen kreischen am Himmel, ansonsten ist noch nicht viel los hier. Doch später, im Sommer oder an den Wochenenden, sind die warmen Steinplatten am Wasser übervoll mit sonnenhungrigen Stadtbewohnern. Hinter ihnen in den nackten Fels geschlagen: die Grotten am Passetto-Strand. «Die ältesten Höhlen sind über hundert Jahre alt. Früher gehörten sie den Fischern, heute nutzen die Leute sie wie Strandkabinen.
Die Grotten sind in den letzten Jahren zu einem Luxus geworden, denn die Lage direkt am Wasser ist unschlagbar!» Die Anconetani verbringen hier den ganzen Tag, grillieren, baden, abends essen sie mit den Nachbarn, treffen Freunde, Gemeinschaftsleben all’italiana. Verschlossen sind die Steinhöhlen mit windschiefen farbigen Holztoren, mehr Verschläge als Türen, und durch die Holzlatten lässt sich da und dort ein Blick erhaschen ins Innere. Es riecht nach Keller, nach feuchtem Stein. Im Winter muss es dort drin kalt und ungemütlich sein. Doch der Winter in Ancona ist kurz – zum Glück! Michele zeigt aufs Meer. «Schau, draussen bei den Felsen fischen sie Austern.» Obwohl er als Winzer fest mit der Erde verbunden ist, das Element Wasser übt auf ihn eine grosse Faszination aus. «Wir Anconetani sind mit dem Meer aufgewachsen. Ich fahre regelmässig raus zum Angeln. Und früher bin ich leidenschaftlich und viel Wasserski gefahren. Ich war sogar mal Skilehrer!» Ja, die Adria ist so was wie die DNA der Bewohner von Ancona. Auch in kulinarischer Hinsicht.
Früher Fischerhäuschen, heute nostalgische Strandkabinen. Die Höhlen am Passeto-Strand haben eine unschlagbare Lage. Hier verbringt ganz Ancona die Sommertage.
Piazza IV Novembre, Ancona
(und dann die Treppe runter ans Meer)
Die Auslage des Chiosco di Morena liest sich wie eine Enzyklopädie der lokalen Meeresdelikatessen. Austern, Muscheln in den verschiedensten Farben und Formen, Seeschnecken, Tintenfisch und Stoccafisso – Stockfisch. «Das ist unser Streetfood!» Michele nickt dem hippen jungen Mann zu, der hinter dem Tresen auf geschätzten zwei Quadratmetern das Angebot für den Mittag vorbereitet. Das Mini-Verkaufshäuschen ist eine Institution – und einer der letzten authentischen Meeresfrüchtekioske in Ancona. «Der beste Ort für Fangfrisches oder ein Glas zum Apéro. Abends kriegst du hier kaum einen Platz!» Und was muss man unbedingt probiert haben? «Tutto!» Michele lacht. «Zu unseren Spezialitäten in Ancona gehören Muscheln von Portonovo, Meeresschnecken und Austern, die sind hier wirklich ganz frisch!»
Frischer Fisch auf die Hand: Der Meeresfrüchte- Kiosk in der Altstadt von Ancona ist eine Institution.
Corso Giuseppe Mazzini 61, Ancona
Dass es den Kiosk überhaupt noch gibt, ist den Besitzern des Delikatessengeschäfts vis-à-vis zu verdanken. Sie retteten die alternde Streetfood-Institution vor dem Aus und hauchten ihr neues Leben ein. «Das war für die Leute aus Ancona so was wie ein Dienst am Gemeinwohl.» Michele schmunzelt. Wir wechseln rüber zu Bontà delle Marche – und kommen kulinarisch vom Wasser an Land. Das Geschäft ist bis zur Decke voll mit Würsten, Schinken, Käse. Hinter der Theke wirbeln drei Jungs herum. «Gabriele Capannelli eröffnete das Geschäft 1997 mithilfe seines Vaters Dario. Wir kennen uns schon lange – auch weil sie oben in der Weinhandlung und im angeschlossenen Restaurant unsere Weine verkaufen. Und bei Bontà gibt es wirklich alles und das Beste von allem. Drei Dinge müsst ihr probieren: Ciauscolo, Pecorino di Fossa und Paccasassi.»
Ciauscolo ist eine Art Salami, aber weich und streichfähig. Pecorino di Fossa ist kein gewöhnlicher Schafskäse, sondern reift in Baumwollsäckchen tief unter der Erde, was ihm ein unglaublich intensives Aroma beschert. «Die Tradition stammt aus dem Mittelalter, als man die Essensvorräte vor Plünderungen schützen musste und in Steingruben versteckte», erklärt einer der Mitarbeiter und reicht ein Glas mit eingemachtem dunkelgrünen Gemüse, das aussieht wie flache Dörrbohnen: Paccasassi. «Das ist wilder Meeresfenchel, er wächst auf den Felsen der Conero-Küste und erinnert geschmacklich an irgendwas zwischen Algen und Kapern», erklärt Michele.
«Paccasassi sind reich an Vitamin C, weshalb sie die Seeleute früher nicht nur als Delikatesse, sondern auch als Mittel gegen Skorbut schätzten. Wir essen Paccasassi traditionell zu Burrata oder auf Pizza und Crostini.» Langsam kriegen wir Hunger.
In diesem Delikatessengeschäft gibt’s alle Spezialitäten der Marche. Auch wenn’s nicht so aussieht: nicht nur Wurst und Schinken.
Corso Giuseppe Mazzini 96, Ancona
bontadellemarche.it
Fürs Mittagessen hat Michele einen Tisch bei Giacchetti in Portonovo reserviert. Sein Lieblingsrestaurant, direkt am Meer. Auf dem Weg zum Auto schauen wir für ein kurzes Ciao noch rasch in der Pescheria Cipolloni rein, wo Capo Claudio seelenruhig von Hand die feinen Gräten aus den Sardellen löst, die danach «sott’olio» eingemacht werden. Sisyphusarbeit, aber ganz ohne Grund gilt die Pescheria nicht als einer der besten Fischläden der Stadt. Und nicht nur uns gefällt’s hier, sondern ganz offensichtlich auch dem Hund der Kundin nach uns: Zur Begrüssung gibt’s für den Goldie ein paar frische Fischlein.
Einer der besten Fischläden der Stadt. Sardellen sott’olio werden hier vom Capo höchstpersönlich eingelegt.
Via degli Orefici 3, Ancona
Portonovo liegt 20 Autominuten ausserhalb von Ancona, eine atemberaubend schöne ruhige Bucht am Hang des Monte Conero. Die Strasse führt durch üppig grüne Vegetation, die Gegend ist seit den 1980er Jahren als Parco Naturale geschützt. «Ich hänge sehr an diesem Ort», erzählt Michele Bernetti, «ich habe viele schöne Kindheitserinnerungen und komme bis heute oft und gerne her.» Auch wegen des Ristorante da Giacchetti, direkt am Strand. Weisse Kieselsteine kontrastieren mit dem karibischen Blau der Adria, ein Traum. «Am schönsten ist es hier im Sommer am Abend. Dann nehmen sie die Sonnenschirme rein und stellen die Restauranttische nach draussen an den Strand. Die Stimmung bei Kerzenlicht ist fantastisch ...»
Fantastisch sind auch die Speisen, die Edoardo, dritte Giacchetti-Generation, auftischt. Gegründet wurde das Restaurant 1959 von den beiden Brüdern und Fischern Aroldo und Dario Giacchetti. Als Primo gibt’s marinierte Sardellen mit Paccasassi (kennen wir schon aus dem Delikatessengeschäft) und die berühmten Moscioli aus Portonovo. «Das sind Miesmuscheln, die in den Felsenspalten des Monte Conero wachsen, etwa auf Höhe Meeresspiegel und somit immer sanft umspült vom Salzwasser. » Moscioli sind die grosse Spezialität der Region und im Gegensatz zu Cozze werden sie gefischt und nicht gezüchtet. Die Saison dauert von April bis Oktober, «dann ist das Muschelfischen unser aller liebste Freizeitbeschäftigung!» Micheles Augen leuchten. Zum Essen trinken wir Vecchie Vigne, Umani Ronchis Verdicchio-Cru aus alten Reben, im Stahltank gereift und x- fach ausgezeichnet. Gambero Rosso kürte den 2009er sogar als «Vino Bianco Italiano dell’Anno» – nur weiss das ausserhalb von Italien kaum einer. Vecchie Vigne ist feingliedrig, mineralisch, sehr präsent, mit toller Länge und fast schon salzigem Abgang. «Mein Herzensprojekt, wir arbeiten mit 60 Jahre alten Reben. Der Wein ist zu einem unserer wichtigsten Vorzeigeweine geworden.»
Zu Pasta und Fritto misto (so delikat, wir würden dafür um die Welt gehen!) gibt’s ebenfalls Verdicchio, diesmal aber in der Variante mit etwas Holzeinfluss: Plenio. Der Wein ist füllig und gleichzeitig herrlich frisch, und auch hier grüsst die Adria mit einer feinen Salznote. «Der Name leitet sich vom lateinischen Plenum ab, ein Hinweis auf die Komplexität und Struktur unserer Riserva.» Der Wein reift zur Hälfte in grossen Holzfässern. «Wir haben über die letzten Jahre den Holzanteil stark reduziert und verwenden heute Eiche mit einer akzentuierten Röstung, aber weniger süss.» Burgunderfan Michele Bernetti sucht im Wein vor allem eines: Eleganz. Und das ist ihm ganz offensichtlich gelungen, finden nicht nur wir: Der Gambero Rosso krönte Plenio 2020 mit der Höchstnote von drei Gläsern!
Zu Pasta und Fritto misto (so delikat, wir würden dafür um die Welt gehen!) gibt’s ebenfalls Verdicchio, diesmal aber in der Variante mit etwas Holzeinfluss: Plenio. Der Wein ist füllig und gleichzeitig herrlich frisch, und auch hier grüsst die Adria mit einer feinen Salznote. «Der Name leitet sich vom lateinischen Plenum ab, ein Hinweis auf die Komplexität und Struktur unserer Riserva.» Der Wein reift zur Hälfte in grossen Holzfässern. «Wir haben über die letzten Jahre den Holzanteil stark reduziert und verwenden heute Eiche mit einer akzentuierten Röstung, aber weniger süss.» Burgunderfan Michele Bernetti sucht im Wein vor allem eines: Eleganz. Und das ist ihm ganz offensichtlich gelungen, finden nicht nur wir: Der Gambero Rosso krönte Plenio 2020 mit der Höchstnote von drei Gläsern!
Michele Bernettis Lieblingsrestaurant direkt am Meer. Hier gibt's die berühmten Moscioli aus Portonovo.
Località Portonovo 171, Ancona
ristorantedagiacchetti.it
Und weil Italien nicht Italien wäre, wenn sich nicht alles ums Essen drehen würde, sind wir – nach einer kurzen Verdauungspause – zum Abendessen in Umani Ronchis Weinbistro verabredet. WineNot? heisst das Lokal am Hafen von Ancona, und oben im historischen Palazzo warten im familieneigenen Grand Hotel Palace 39 Boutique-Zimmer auf müde Gäste. «Das Gebäude stammt aus dem 16. Jahrhundert, das Hotel ist seit 1868 in Betrieb. Wir haben es komplett renoviert und 2017 neu eröffnet.» Küchenchef Leonardo Castaldi hat sich – damit die Gäste möglichst viele Speisen-Wein-Kombinationen probieren können – Fingerfood auf Gourmet-Level verschrieben. Oder Shottini, wie die Anconitani ihre Häppchen nennen. Einer der Klassiker, im WineNot? und in den Marken überhaupt, sind Olive Ascolane: mit Fleisch gefüllte grüne Oliven, paniert und frittiert. Köstlich! Ebenfalls typisch Marken sind Raguse in porchetta, Meeresschnecken. «Eine traditionelle Spezialität der Provinz Ancona und vor allem der Riviera del Conero. Der Name ‹in porchetta› kommt daher, weil wir in der Sauce wilden Fenchel verwenden, der klassischerweise auch Spanferkel oder eben ‹porchetta› den typischen Geschmack gibt», erklärt Küchenchef
Leonardo. Und was trinkt man zu den Raguse, Michele Bernetti? «Ich mag dazu unseren Montepulciano-Cru Cúmaro.» Die Trauben für die dunkelfruchtige Riserva wachsen in Bernettis besten Rosso-del-Conero-Lagen in Meeresnähe. Der Wein ist üppig und weich, reife Pflaume trifft auf Sauerkirsche, Tabak auf schwarzen Pfeffer. Benannt ist der sortenreine Montepulciano nach dem Erdbeerbaum, der typisch ist für die Wälder des Monte Conero. Die feuerroten Früchte des Baums sind essbar und haben es als stilisierte rote Punkte aufs Cúmaro- Etikett geschafft. Der Name des Weins stammt übrigens aus dem Griechischen: komaros. Nun, da wären sie wieder, die Griechen ...
Grand Hotel und Weinbar der Winzerfamilie Bernetti. Nach dem letzten Schluck kann man direkt ins Bett fallen.
Lungomare Luigi Vanvitelli 24, Ancona grandhotelpalaceancona.com
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