Vito Palumbo blickt auf die Rebflächen der Tenuta Bocca di LupoVito Palumbo blickt auf die Rebflächen der Tenuta Bocca di Lupo

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Lazio ist voller Geschichte und Geschichten. Seit der Antike ranken hier die Reben und das Latein darum herum. Etwa von einem Papst, der sich mit Orvieto-Wein einbalsamieren liess. Dass die historische Weinbauregion heute wieder an die ruhmreichen Tage anknüpft, hat viel mit einer berühmten Önologenfamilie zu tun: Cotarella.

Jahrhundertelang lobten die Poeten von Rom die Weine Latiums: bernsteinfarben, würzig, vollmundig, so hätten sie damals angeblich geschmeckt. Ziemlich sicher waren sie oxidativ und mit Kräutern und Gewürzen versetzt. Nun. Die beste Geschichte von allen? Est! Est!! Est!!! di Montefiascone – so heisst dort (ab März 1966) die offizielle Ursprungsbezeichnung doc. Sie beruht auf der schönen Geschichte eines deutschen Prälaten, der sich hier im Jahre des Herrn 1113 zu Tode getrunken haben soll. Seinen Diener soll er auf der beschwerlichen Reise im Jahre 1111 vorausgeschickt haben, um jeweils festzustellen, in welchen Dorfkneipen man den besten Wein zu trinken kriege. Der besagte Knecht Martin schrieb (wohl angeheitert) an die Wirtsstubentüre von Montefiascone: «Est! Est!! Est!!!», also «Es ist hier! Es ist hier!! Es ist hier!!!» Eine herrliche Erzählung, die den Wein aus Montefiascone auf der ganzen Welt berühmt gemacht hat.

Vielfältige Böden des LazioVielfältige Böden des Lazio

Auf den vielfältigen Böden des Lazio fühlen sich rote und weisse Trauben wohl.

Der Papst und der Wein

Selbstverständlich sind der Vatikan und die Weinbauhistorie von Lazio seit jeher eng miteinander verknüpft, wobei erst 2021 in den päpstlichen Gärten der Sommerresidenz in Castel Gandolfo am Ufer des Lago Albano Reben gepflanzt wurden. Der eigene Wein dient jedoch nicht als Tafel-, sondern als Messwein. Önologisch ist er bei Riccardo Cotarella in besten Händen, zu ihm kommen wir gleich.

Auch bei Papst Gregor XVI. genoss der Wein Lazios einen hervorragenden Ruf. Er verstarb im Jahre 1846 und verlangte in seinem Testament, dass sein Körper vor der Beisetzung mit Orvieto gewaschen werden musste. So, drum sei es. Die Weissweinbezeichnung Orvieto, eigentlich eine Stadt in Umbrien, darf in Lazio (genauer in der Provinz Viterbo) verwendet werden – bis heute einige der wenigen doc-Appellationen, die sich über zwei Weinbaugebiete erstreckt.

In den 1960ern wurden die Weissweine von Lazio gerne von amerikanischen Stars und Sternchen genossen. Sie drehten in der Cinecittà ihre Filme und das internationale Dolce-Vita-Verständnis eines typisch italienischen Weissweins verwob sich immer stärker mit Lazio. Lazio war in Sachen Weissweingeschmack plakativ gesagt Italien. Doch irgendwann verblasste der Glanz …

Vielfältige Böden des LazioVielfältige Böden des Lazio

Verleihen der Region Flügel: Starönologe Riccardo Cotarella und Tochter Dominga.

Die Wiederauferstehung

Das qualitative Rinascimento, das vor gut 40 Jahren begann und noch immer in vollem Gange ist, hat stark mit den beiden Brüdern Riccardo und Renzo Cotarella zu tun. Ersterer ist der weltweit bekannte Starönologe, der, wie eingangs erwähnt, auch Papst Franziskus und Sting sowie über hundert weitere Weinprojekte önologisch betreut. Der andere ist seit über 40 Jahren für Antinori, heute als CEO, tätig. Die Brüder haben 1979 die Tenuta Falesco in Montefiascone, also im nördlichen Teil von Lazio, erworben und dank ihres unermüdlichen Engagements die eigenen Weine, aber auch jene aus der Region, aufs Podest der italienischen Weinprominenz gehoben.

«Primär ging es uns darum, das Beste aus der historischen Denominazione Est! Est!! Est!!! di Montefiascone herauszuholen, sodass die Region von aussen neu bewertet werden musste», sagt der heute 75-jährige Dottore Riccardo in seinem Büro in der Weinkellerei in Montecchio. Hinter ihm reihen sich Flaschen von Produzentinnen und Produzenten auf, die er und sein Team beraten. Neben ihm sitzt seine Tochter Dominga, die die Geschäfte seit 2016 zusammen mit ihren Cousinen Enrica und Marta, Renzos Töchtern, leitet. Dominga sagt: «Mein Papà begann, die Traubensorten der Appellation genauer zu erforschen, und merkte schnell, dass die weisse Rosetto aus der Greco-Familie die spannendsten Resultate brachte. Nach drei Versuchsjahrgängen erhöhten wir den Rossetto-Anteil in der historischen Cuvée.» Und: Die Sorte machte sich so gut, dass Cotarella 1989 einen neuen Weisswein in der doc Est! Est!! Est!!! lancierte: Poggio dei Gelsi. «Wir haben versucht, ein neues Licht auf Montefiascone zu setzen, und es ist geglückt», erzählt Riccardo. Mit 40 Prozent ist Rossetto in diesem Blend die Hauptsorte. Die Trauben gedeihen mit Blick auf den Lago Bolsena, und dieser sorgt mit seinem grossen Wasserkörper für reflektiertes Licht und das perfekte Mikroklima. «Der Wein gewinnt mit jedem Jahrgang an Mineralität und Frische – und hat dem Est! Est!! Est!!! seinen alten Glanz zurückgegeben», sagt Dominga.

Schnell also sprach sich herum, dass Cotarella sehr solide, sehr frische Weissweine herstellt, und die Auszeichnungen von renommierten Weinführern – Gambero Rosso, Veronelli und Co. – liessen nicht lange auf sich warten. «Früher haben die Leute gesagt, in Lazio könne man nur Weissweine herstellen», sagt Dominga, wohl wissentlich, dass ihr Vater schon in den 1980ern in Lazio auch Merlot angepflanzt hat und 1993 sogar die Impertinenz hatte, diesen auch zu lancieren. «Ich mag Bordeaux», kommentiert dieser verschmitzt. Heute gilt der Montiano als einer der besten Merlots Italiens. Der Gambero Rosso etwa adelt den Wein Jahr für Jahr mit der Höchstnote «tre bicchieri». Und auch sein kleiner Bruder, Sodale, ebenfalls ein reiner Merlot, komme beim Publikum sehr gut an. Spitzenrotwein in einem klassischen Weissweingebiet – das ist das zweite Kapitel der Cotarell’schen Qualitätsrevolution.


Poggio dei Gelsi

Nach Jahren des Experimentierens mit der Rebsorte Rossetto kommt Poggio dei Gelsi auf den Markt. Er revolutioniert die in Vergessenheit geratene Spezialität Est! Est!! Est!!! Knackiger, zitrischer Einschlag und der Duft von reifer Aprikose, Kiwi und Nektarine. Solo oder zu Antipasti.

Montiano

Gilt seit seiner Lancierung als einer der besten und innovativsten italienischen Rotweine! Feiner Vanilleduft, rote Beeren, Konfitüre und süsse Gewürze. Ein aristokratischer Wein: voll, rund, wunderbar weich und sortenrein aus Merlot gekeltert. Eleganz pur!

Vielfältige Böden des LazioVielfältige Böden des Lazio

 

1979 gründen die beiden Brüder Renzo und Riccardo Cotarella ihre Tenuta Falesco in Montefiascone (Lazio). 1999 kauft die Familie Land im benachbarten Umbrien und baut in Montecchio (Umbrien) die neue Kellerei, wo heute alle Weine vinifiziert werden.

Geologisch können in Lazio drei Landschaftsarten definiert werden: im Osten das Kalkgebirge, im Norden die Tuscia, die auf vulkanischem Tuffgestein fusst, und in den Ebenen, der Maremma Laziale, besteht der Boden aus verfestigter Vulkanasche. Die Rebberge der Familie Cotarella in Lazio liegen allesamt im Norden, in drei verschiedenen Gebieten: Montefiascone, Bolsena und Castiglione in Teverina


Im Schatten der Toskana gross raus

Doch warum die temporäre Baisse? «Ich glaube, dass die Weine aus Lazio an einem bestimmten Punkt in der Geschichte schlicht von anderen Regionen überholt wurden», sagt Dominga, «denn Lazio hatte lange Zeit einen garantierten Markt – mit dem nahen Vatikan, mit Rom und mit den Pilgern, die auf ihrem Weg auf der Via Francigena hier in Montefiascone vorbeikamen. Warum also sollten die Produzenten Geld für bessere Qualität investieren, wenn sie die Konsumenten auf sicher hatten?» Ihr Vater Riccardo nickt. «Lazio ist voll von engagierten Winzerinnen und Winzern », erzählt er, aber die Reputationsdistanz zur Toskana bleibe einfach enorm. «Natürlich braucht es in einem mehr oder weniger unbekannten Weingebiet Pioniere, die voranschreiten, und wenn man das Unbekannte als Chance sehen möchte, dann braucht es nach den ersten Schritten viele, die mitziehen», sagt er. Man sei beinahe gezwungen, exzellente Weine herzustellen. Und: Er ist überzeugt, dass der Weinbau in Lazio nach wie vor erst am Anfang der Möglichkeiten steht. Letztes Jahr lancierte die Familie erstmals einen Edel-Rosato, Sorélle, wie Dominga, Enrica und Marta, die sich Schwestern nennen, obwohl sie eigentlich Cousinen sind. Dominga lächelt: «Wir möchten nicht nur mit den Besten in Italien verglichen werden, sondern mit den Besten überall.»


Sorélle

Raffinierter Edelrosé aus Merlot und Aleatico. In der Nase frisch und fruchtbetont, Noten von Pink Grapefruit und weissen Blüten. Im Gaumen herrlich intensiv und elegant. Zum Frühlingsapéro im Freien, Thunfischtatar, Jakobsmuscheln.

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