Diese Seite unterstützt Ihren Webbrowser (Internet Explorer) nicht. Für mehr Sicherheit und Geschwindigkeit wechseln Sie bitte zu einem aktuellen Browser.

Jetzt aktualisieren

Eine Spurensuche vor Ort: Was alles passieren muss, um ein Restaurant wie das Più am Zuger Postplatz zu eröffnen.

Plötzlich steht eine ältere Dame in der Tür. Ihr Gesicht drückt Verwirrung aus. «Ist hier nicht die Post?» Eine Kellnerin verneint. Im prunkvollen Saal mit Elementen der Renaissance und des Barock residiert heute das Ristorante Più. Es ist früher Nachmittag in Zug, in der Küche herrscht Ruhe nach dem Mittagsansturm. Auf blank poliertem Chromstahl wartet ein Karton voller Auberginen. Ein Koch scheibelt Tomaten, das Rührgerät schlägt seine Runden neben den Löffelbiskuits, denen ein Schicksal als Tiramisu bevorsteht. «Hier müsst ihr aufpassen!», macht Jasmin Trüssel das Küchenteam auf einen Stapel Teller aufmerksam, unter dessen Last sich das Tablar biegt. Das aufgetürmte Geschirr versperre die Fenster, so ströme nicht die behördlich verordnete Menge Sonnenlicht herein. «All die Auflagen würden ein Lexikon füllen», klagt sie mit einem Grinsen. Seit dem 1. Juni läuft der Betrieb. Dass es dazu kam, dazu hat die 31-Jährige entscheidend beigetragen.
article image

Darauf eine Carbonara! Projektleiterin Jasmin Trüssel geniesst die Früchte ihrer Arbeit.

Die Gelegenheit gepackt

Wir spulen zurück: Februar 2018, im Zürcher Bindella-Hauptquartier trifft die Anfrage ein, ob das Familienunternehmen Interesse am renommierten Innerschweizer Standort hätte. Ein erster Grundriss in Absprache mit Architektin Leslie Nader zeigt auf, wie viele Sitzplätze möglich sind. Daraus resultiert eine ungefähre Erfolgsrechnung, der Verwaltungsrat gibt grünes Licht, und im September 2019 setzen die Parteien ihre Unterschriften unter den Mietvertrag. «In diesem Prestigebau ein Lokal eröffnen zu können, ist eine riesige Chance», sagt Rudi Bindella jr., der die Gesamtverantwortung für die Bindella-Gastronomie trägt. Für die Baueingabe wird das Layout bis ins klitzekleinste Detail konkretisiert, vom Dampfabzug bis zur Farbe der Stuhlbezüge. Der Ofenbauer kommt mit ins Boot, die Spezialisten für Heizung, Lüftung, der Elektroingenieur … Aufgrund massgeschneiderter Muster erarbeitet das Projektteam unter der Leitung Jasmin Trüssels die Gestaltung des Raums. Allein das Weiss der Wände setzte sich gegen 23 andere Farbtöne durch. «Gäste nehmen diese Details selten bewusst wahr, doch die Spitzfindigkeit lohnt sich», erklärt die Projektleiterin. «Aus dem stimmigen Ganzen ergibt sich der Wow-Effekt.» Davon hänge ab, ob sich die Leute wohlfühlten – und wiederkämen. Bei der Schirmherrin der Mission Zug laufen über all die intensiven Monate alle Fäden zusammen. Eine Schlüsselposition, die sich etwa so gut verträgt mit regelmässigem Schlaf wie ein Pinguin mit dem Hochsommer an der tyrrhenischen Küste – speziell, wenn mehrere Projekte parallel laufen. Im März 2020 geht das Baugesuch an die Zuger Behörden. Bis zur Bewilligung dauert es über ein Jahr, auch die Denkmalpflege muss ihren Segen geben, zudem gehen Einsprachen aus der Nachbarschaft ein. Der Spatenstich erfolgt im Januar 2022. Für die Ausführung baut Bindella auf langjährige Partner. «Gegenseitige Sympathie ist sehr wichtig – man muss auch gemeinsam lachen können», erklärt Rudi Bindella jr.
article image

Was lange währt, ist endlich fertig eingerichtet.

Emotionale Momente

Nun nimmt das spätere «Reich» von Gastgeber Lorenzo d’Andrea, Küchenchef Graziano Mensi und Betriebsassistent Lukas Hlavatovic auch in der Praxis Gestalt an. Der Bau schreitet nach dem Bottom-up-Prinzip voran, beginnt mit unterirdischen Wasser- und Stromleitungen, Heizung, Metallbau. Fischgrätparkett überdeckt anschliessend den betonierten Unterlagsboden, die Wände erhalten ihren Anstrich. Bei jedem Besuch überkommt Jasmin Trüssel ein neuer Schub an Glückshormonen, wenn sie die Fortschritte betrachtet. Wöchentlich treffen sich alle am runden Tisch im Baucontainer, auf Rundgängen klären sie offene Fragen sowie nächste Schritte. Motto: Probleme gibt es keine – nur Herausforderungen. Vier Wochen vor Eröffnung stehen Kleinigkeiten auf der Agenda wie die Farbe der Fugen zwischen den Fliesen. Und ein Kurztrip nach Köln in die Galerie Boisserée. Wo Bindella draufsteht, erhält die Kunst viel Aufmerksamkeit. Die Gemälde im Zuger Più stammen vom Breisgauer Ralph Fleck, ergänzt durch Skulpturen der Chamerin Barbara Kohler-Schai für das Lokalkolorit. Ausgehend von einer Grundidee beginnt das grosse «Herumhüpfen », wie Jasmin Trüssel es nennt: Auf- und Abhängen. Stundenlang. Bis alle mit dem ästhetischen Gesamtbild zufrieden sind. Das Adrenalin trägt das Projektteam durch den zweiwöchigen Endspurt. Dieser geht an die Substanz, auch körperlich. Am sogenannten Weihnachtstag trifft die Einrichtung ein – tutti quanti, alles aufs Mal, vom Weinglas über die Bratpfanne bis zum Garderobenmöbel. Auspacken, bis die Finger bluten! Schliesslich die Begrüssung des Personals, Schulungen, das Einrichten der Arbeitsplätze. Ende Mai 2022 wird im fertigen Restaurant erstmals aufgetischt, ein Diner für die Handwerkerinnen und Handwerker, als Dank. Diesem folgen zwei weitere Testessen am nächsten Tag, während deren sich Küche und Service einspielen können. «Den Betrieb im fertigen Saal zu erleben, ist die Krönung», schwärmt Rudi Bindella jr.

Startschuss

Endlich öffnen die Türen auch für Gäste, doch das Più Zug bleibt «work in progress». In den Büros der oberen Etagen sind noch Arbeiten im Gang, in einer Ecke des Restaurants bessert ein Maler Unsauberkeiten aus. «Gewisse Knackpunkte treten erst beim laufenden Betrieb hervor», bemerkt Jasmin Trüssel. In Zug nahm bei vollem Haus der Lautstärkepegel im hohen Speisesaal überhand. «So etwas spricht sich sofort herum, darum müssen wir schnell reagieren.» Seit Mitte Juli dämpfen Akustik-Panels den Schall, die Gäste erwartet seitdem auch bei vollem Haus eine angenehme Geräuschkulisse. Die Projektleiterin verabschiedet sich derweil zwischenzeitlich in die Ferien. Oder so etwas in der Art: Im Notfall, lässt sie ausrichten, sei sie selbst während des Roadtrips entlang der US-Ostküste erreichbar …
article image

Warmly welcome! Es ist eingeheizt für die ersten Gäste.