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Philipp Hildebrand über die Kunst, im Moment zu leben, seine Ambitionen als Winzer und sein neustes Projekt: Ristorante Zafferano.

Philipp Hildebrand, warum ist Wein ein Prestigeobjekt?

Für mich eigentlich nicht. Wein ist für mich Genuss, Eleganz – und ein Bezug zur Landwirtschaft.

Sie kokettieren.

Mein Grossvater war selber Landwirt, das hat mich schon immer fasziniert. Die Landwirtschaft lehre einen Geduld, hat mir Riccardo Cotarella einmal gesagt. Und das ist absolut richtig. Gerade beim Wein. Mit der Ernte ist der Prozess noch lange nicht fertig. Fasslagerung, Maturität, all das braucht viel Geduld. Wein ist ein organisches Wesen, das sich weiterentwickelt. Diese Langfristigkeit, Kontinuität, das finde ich sehr faszinierend. Gerade in meinem Beruf, wo vieles kurzfristig ist.

Erzählen Sie von Ihrem eindrücklichsten Weinerlebnis.

Ein erster Besuch in Bordeaux vor 20 Jahren. Und in Paris, als ich die Chance hatte, erstmals die ganz grossen Bordeaux zu probieren.

Sie lieben Bordeaux.

Viele Freunde von mir sagen: Wenn du älter wirst, dann magst du die Burgunder lieber. Nun, ich probiere immer wieder, ob diese Entwicklung einsetzt, aber bis jetzt liegt meine Präferenz immer noch klar bei den Bordeaux. (lacht)

Was muss ein Wein haben, damit er Sie umhaut?

Alter. Tiefe. Und eine gewisse Schwere. Ich mag keine leichten Weine. Ich liebe die grossen französischen Weine, die italienischen Supertuscans, weil sie diese Sanftheit mit sich bringen. Es gibt sehr gute Kalifornier, die sind wie alles in Amerika laut und lärmig und wirklich gut, aber sie sind mir zu wenig rund.

Dann keltern Sie Ihre Weine auch so? Sie sind nämlich auch Winzer …

Ja, unsere Referenz sind die klassischen Bordeaux-Blends. Da ist Merlot drin, der das Sonnige reinbringt, Cabernet, der Schwere gibt. Und zum Schluss noch etwas Salz und Pfeffer mit Petit Verdot. Die ersten eigenen Reben haben wir vor fünf Jahren in Bibbona gepflanzt. 2023 lancieren wir den Wein – der erste Jahrgang ist aber bereits jetzt exklusiv im Zafferano erhältlich.

Wie soll der Hildebrand-Stil sein?

Die Hoffnung und unsere Ambition ist, sich Biserno und Ornellaia anzunähern.

Sie sind ehrgeizig!

Nach den ersten Versuchen bin ich zuversichtlich, dass das auch gelingt. Die Idee ist ganz klar: wenig Volumen, sehr hohe Qualität.

Sie hatten vorhin den Namen Cotarella erwähnt. Das ist Italiens Starönologe.

Wir haben das grosse Privileg, dass er unseren Wein macht. Eigentlich hätte ich das nicht erwartet. Wir liessen unsere Erde testen – die Resultate waren phänomenal! Riccardo Cotarella sagte zu mir: Wenn du dich verpflichtest, wirklich einen Qualitätswein zu keltern, dann mache ich das mit euch.

Aber für Sie als Bordeaux-Liebhaber: Bibbona ist Italien, nicht Frankreich.

Klar, ich bin mit Frankreich sehr eng verbunden. Daher wäre es fast natürlicher gewesen, in Frankreich ein Weingut zu suchen. Und anders als viele Bekannte in meinem Alter, die Bibbona noch aus den Ferien mit den Eltern kennen – in den 1970er Jahren war das unter Schweizern glaube ich sehr populär, man konnte mit dem Auto runterfahren –, kannte ich die Region bis auf ein Trainingslager mit dem Schwimmclub Uster bei Pisa Anfang der 1980er nicht. Doch die Geschichte dieser Gegend ist sehr interessant.

Inwiefern?

Zu meiner Studienzeit war italienischer Wein etwas Einfaches, Günstiges, wir tranken den Chianti aus der grossen Korbflasche. Später begann ich mich mit der Geschichte zu befassen. Der Methanol-Skandal der 1980er Jahre war eine tragische Geschichte, aus der sich diese fantastische Industrie entwickelt hat. Wie vieles in der Welt entstanden auch die grossen italienischen Weine aus einer Krise heraus.

Eine Wiedergeburt.

Ja, ein bisschen wie ein Phoenix aus der Asche. Dabei spielten übrigens auch unser Önologe Riccardo Cotarella und sein Bruder Renzo eine grosse Rolle. Sie gehörten zu den Ersten, die Trauben aus dem Bordeaux in die Toskana brachten. Und so hat sich die ganze Gegend entwickelt.

Niedergang, Wiederaufstieg, zentrale Themen im Leben.

Ich glaube, das ist die Quintessenz der Menschheit. Sich immer wieder neu zu erfinden, nie aufzugeben, nie aufzuhören. Ein Thema, das ich natürlich auch persönlich erlebt habe – wie wohl alle. Es geben es nur nicht alle zu. (lacht)

Seit September sind Sie auch Gastronom.

Genau, das Zafferano am Zürcher Limmatquai. Alleine hätte ich das natürlich nicht gemacht. Ich versuche Dinge nur dann anzupacken, wenn man das richtige Team zusammen hat.

War das Ihre Idee?

Rudi Bindella und ich sassen in der Toskana beim Essen, da erzählte ich von einem Lokal in London, wo ich kürzlich gewesen war. Ein ganz einfacher Pub, am Rande des Windsor-Parks, wo man sogar die Pferde vor dem Haus anbinden kann. Und da gab es fantastische Pizza und sehr gute Weine. Da kam uns die spontane Idee: simples, aber bestes Essen, dazu den besten Wein. Und wie man Rudi kennt, rief er mich eines Tages an und sagte: Ich habe ein Lokal gefunden!

Sie sagen: ein ganz einfacher Pub.

Ich habe das Glück, dass ich vom Beruf her überall auf der Welt sehr, sehr gut esse. Aber je mehr man das macht, desto mehr hat man die
Tendenz, das Gute in der Einfachheit zu suchen.

Was ist das Zafferano?

Es ist der Versuch, etwas, was sehr bekannt ist, noch «ein My» besser zu machen. Die Suche nach der Perfektion. Ob uns das gelingen wird, werden wir sehen …

Gutes Essen liegt Ihnen am Herzen?

Unsere Ernährung ist wohl das Wichtigste, was man selber beeinflussen kann, die Gene sind ja gegeben.

 

Zurück zu Rudi Bindella. Sie sind freundschaftlich verbunden. Wie kam das?

Vor vielen Jahren, ganz am Anfang meiner Zeit in der Nationalbank, da hielt ich ein Referat. Rudi Bindella sass im Publikum und kam nach dem Vortrag zu mir. Ich war immer sehr interessiert, was die Unternehmer sagen, um die Ökonomie nicht nur aus der Theorie zu betrachten. Und ich habe rasch gemerkt, dass Rudi Bindella sehr kreativ denkt – als Ökonom und als Unternehmer. So kamen wir ins Gespräch und hielten den Kontakt über all die Jahre.

Was verbindet Sie beide?

Die Energie, die er hat, finde ich gewaltig! Immer wieder Neues entdecken, Neues lernen – das versuche ich genauso. Je älter ich werde, desto mehr faszinieren mich ältere Leute, die das so leben. Rudi ist ein Paradebeispiel.

Und bestimmt auch Kunst … Sammeln Sie selber?

Nicht gross, ich habe ein paar Schweizer Werke, aber mir fehlte ehrlich gesagt bislang etwas die Zeit.

Was berührt Sie an Kunst?

Mich faszinieren alle kreativen Tätigkeiten, nicht nur das Malen, sondern auch Musik, Literatur, insbesondere die Verbindungen zwischen den verschiedenen Formen von Kreativität. Spannend wird’s, wenn man diese Verbindungen verstehen kann.

Finanzen, Kulinarik, Kunst … In welchem «Geschäftsfeld» bewegen Sie sich am liebsten?

Am liebsten bin ich eigentlich in der Natur. Ich mache viel Sport, Skifahren, Fischen, Klettern, Wandern. Die Nähe zur Natur ist auch das, was am Weinprojekt so schön ist. Meine Faszination ist seit jeher das Zusammenspiel von Geschichte, Politik und Wirtschaft – im Moment ja leider in einem sehr negativen Sinn, aber man sieht, wie wichtig das ist. Mich interessieren auch weniger die Finanzmärkte per se, sondern was die Finanzmärkte letztlich reflektieren.

Was bedeutet Genuss für Sie?

Zeit. Und im Moment zu sein. Es ist doch die grosse Herausforderung der Menschheit, dass wir uns alle permanent mit der Vergangenheit oder der Zukunft befassen, anstatt im Moment zu leben. Dabei ist die Gegenwart der einzige Ort, wo man wirklich sein kann.

Wann sind Sie ganz in der Gegenwart?

Bei einem guten Glas Wein mit Freunden oder der Familie.

 

 

Geldexperte und Genussmensch


Der Schweizer Ökonom und ehemalige Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand ist seit 2012 Vice Chairman beim Vermögensverwalter Blackrock. 2015 stieg er mit seiner Tenuta Vergaia bei Bibbona ins Winzerbusiness ein – und eröffnete im September 2022 zusammen mit Rudi Bindella das Ristorante Zafferano am Zürcher Limmatquai.

Interview erschien im Magazin #9, Herbst 2022