Diese Seite unterstützt Ihren Webbrowser (Internet Explorer) nicht. Für mehr Sicherheit und Geschwindigkeit wechseln Sie bitte zu einem aktuellen Browser.

Jetzt aktualisieren

Camilla Lunelli sitzt zusammen mit ihrer Familie am Steuer des Trentiner Spumante-Produzenten Ferrari. Ein Gespräch über persönliche Werte, Champagner, den Sinn von Säure. Und warum Bubbles so gut zu Frittiertem passen.

Camilla Lunelli, Ihre Familie hat sich dem Trentodoc verschrieben, einem italienischen Spitzen-Schaumwein. Wie würden Sie Trentodoc erklären?

Technisch gesehen ist Trentodoc ein flaschenvergorener Spumante aus den Bergen des Trentin. Für uns ist Trentodoc aber auch «molto italiano». Ein Botschafter der italienischen Lebensart: Eleganz, Schönheit – aber bitte immer ganz entspannt.

Warum gelten die Trentodoc- Spumanti ausserhalb von Italien noch immer als Geheimtipp?

Zehn Millionen Flaschen Trentodoc gegen 300 Millionen Flaschen Champagner – das ist wie David gegen Goliath. Plus: Der Heimmarkt für Trentodoc funktioniert unglaublich gut. Das heisst, wir haben gar nicht genug Spumante, um in die ganze Welt zu exportieren. (lacht)

Ihre Vorbilder – international gesehen?

Ich probiere gerne Weine aus anderen Ländern, britische Bubbles etwa finde ich sehr interessant. Schaumwein wird in der ganzen Weinwelt in vielen Stilen und aus praktisch allen Trauben hergestellt. Zu behaupten, sie seien alle minderwertig oder lediglich Imitationen des Champagners, ist so, als würde man alle Rotweine abtun, weil sie keine Burgunder sind. Das Universum besteht aus vielen leuchtenden Sternen und nicht aus einer einzigen Sonne.

Das Trentin ist umgeben von hohen Berggipfeln. Warum Weinbau in diesem engen Tal?

Die Berge sind unser Schlüsselfaktor: Sie prägen nicht nur die Landschaft, sie sind auch absolut zentral für die aromatische Entwicklung der Chardonnay-Traube. Durch die Höhenlage haben wir kühle Nächte und warme Tage, was entscheidend ist für die Säurestruktur der Trauben und die Frische, wie wir sie im Glas haben möchten.

Dann machen die Berge den Unterschied – auch mit Blick auf Ihre Spumante- Konkurrentin Franciacorta?

Genau. Die Produktionsmethode ist die gleiche, und eigentlich sind wir nicht einmal so weit voneinander entfernt, eine gute Autostunde. Aber die Berge dominieren den Trentodoc-Stil: Wir haben eine präsente Säure, die wir nur dadurch erreichen, dass wir unsere Reben in der Höhe kultivieren.

Ist Klimaerwärmung bei Ihnen ein Thema? Champagnerhäuser kaufen inzwischen ja schon Land im kühleren England …

Ja, klar. Unsere Rebberge reichen heute bis auf 700 Meter über Meer, was mein Vater vor 30 Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Höhere Lagen sind für uns also eine Art Versicherung für die Zukunft. Anders als beispielsweise die Franciacorta, wo es nur kleinere Hügel gibt, haben wir also einen Ausweg. Doch bedeuten höhere Lagen auch viel Handarbeit, geringere Erträge, man muss Strassen zu den Weinbergen bauen. Kurz: viel Arbeit. Aber in Bezug auf die Qualität sind wir auf der sicheren Seite. Auch unsere Enkel werden noch langlebige Trentodoc-Weine produzieren können.

Apropos langlebig: Ihre Spumanti liegen teils bis zu zehn Jahren auf der Hefe. Warum diese Exklusivbehandlung?

Unser von den Bergen beeinflusstes Terroir schenkt dem Chardonnay eine einzigartige Frische und Säurestruktur, die uns erlaubt, die Weine richtig lange reifen zu lassen. Die Spumanti gewinnen dabei an Komplexität, ohne ihre Vitalität einzubüssen. Letztes Jahr haben wir die Giulio Ferrari Collezione, Jahrgang 2001, lanciert – nach 19 Jahren auf der Hefe. Es ist unglaublich, wie frisch der Wein ist.

Und warum ausgerechnet Chardonnay?

Wir haben auch mit Pinot blanc und Pinot Meunier experimentiert, aber beide Sorten haben nicht die Komplexität und Aromatik eines Chardonnays.

Sie bewirtschaften Ihre eigenen Rebberge seit 2017 biologisch.

Nun, es wäre sicher einfacher, in einem wärmeren, trockeneren Klima biologisch zu arbeiten. Doch die Berge sind ein sehr fragiles Ökosystem, das gut gepflegt werden muss. Wir sind nicht nur biozertifiziert, wir achten auch auf die Biodiversität. Denn während es bei Bio «nur» darum geht, was man in die Natur einbringt, ist Biodiversität ein viel weitreichenderer Ansatz.

Vor Ihrer Zeit bei Ferrari waren Sie für die Uno und eine NGO in Afrika unterwegs. Heute sponsert Ferrari glamouröse Events wie die Oscars, Emmys oder neu auch Formel 1. Wie geht das zusammen?

Für mich gab es nie eine Diskrepanz zwischen diesen beiden Welten. Es stimmt, als ich in Afrika auf Mission war, schlief ich manchmal zehn Tage lang unter freiem Himmel. Heute logiere ich in wunderbaren Hotels, esse in Sternerestaurants. Der Kontext ist ein anderer, aber die Werte, warum ich mich für Afrika entschieden hatte, sind nicht so weit entfernt von den Werten eines Familienunternehmens, das nach ethischen Grundsätzen arbeitet und Wertschöpfung für die Region schafft. Selbst wenn man an die Migranten denkt, die genau aus dem Teil Afrikas kommen, wo ich tätig war: Was sie wollen, ist nicht, dass ihnen jemand etwas umsonst gibt. Sie suchen Arbeit, um ein würdevolles Leben zu leben.

Sie engagieren sich auch in der Vereinigung Le Donne del Vino. Ist das noch nötig? Schliesslich wird ein Drittel der Weingüter Italiens von Frauen geführt.

Nun, ein Drittel ist keine schlechte Zahl. Aber ich denke, der Anteil sollte bei 50 Prozent liegen. In meinen Augen sind Mann und Frau völlig gleichberechtigt, die Talente gleich verteilt. So sehen wir das Gott sei Dank auch in unserer Familie: Wir haben drei Kinder, und mein Mann und ich übernehmen die Verantwortung gemeinsam. Gerade habe ich ein Mentoring-Programm für junge Unternehmerinnen gestartet. Ich mag keine Quoten, aber da der Prozess so langsam läuft, müssen wir Druck machen. Sonst sitzen wir in drei Generationen noch hier und reden. Im Übrigen: Ich mag den
Verein, und es ist eine schöne Möglichkeit, sich mit ein paar sehr energievollen tollen Frauen zu vernetzen.

Sie betreiben inmitten Ihrer Rebberge das Sternerestaurant Locanda Margon. Um zu beweisen, dass Trentodoc ein ganzes Menü begleiten kann?

Manche denken, ein Spumante sei gut zum Anstossen oder zum Aperitivo, was absolut richtig ist. Aber ein Trentodoc ist viel mehr als das: ein unglaublich
vielseitiger Essensbegleiter. Zudem ist die Locanda Margon für uns ein Labor, in dem wir mit neuen Pairings experimentieren. Und für unsere Gäste hoffentlich der perfekte Abschluss ihres Weingutbesuchs.

Wozu trinken Sie Trentodoc?

Eine meiner Lieblingkombinationen mit Trentodoc ist frittiertes Essen. Das reicht von Mozzarella fritta über japanischen Tempura-Fisch bis hin zu Olive
ascolane. Sprudel ist nach Frittiertem perfekt, da die Perlen den Gaumen erfrischen und das Essen leichter machen.

Sie propagieren selbst zu Pizza Bollicine. Dabei dachten wir immer, die Italiener würden zu Pizza Bier trinken …

(Lacht) Es stimmt, Italiener trinken zu Pizza traditionell Bier. Fakt ist aber auch, dass Pizza traditionell ein Arme-Leute-Essen ist. In den letzten Jahren gab es jedoch einen regelrechten Boom für Gourmet-Pizza mit erstklassigen Zutaten. Da darf es auch im Glas etwas exklusiver sein… ●
article image
Camilla Lunelli leitet als Communication Director zusammen mit ihrem Bruder Alessandro und ihren Cousins Matteo und Marcello die Geschäfte von Ferrari. Firmengründer Giulio Ferrari hatte selber keine Kinder und legte sein Lebenswerk darum 1952 in die Hände des Trentiner Weinhändlers Bruno Lunelli, dem Grossvater von Camilla. Trentodoc wird nach «metodo classico» hergestellt, also mit zweiter Gärung in der Flasche. Von den zehn Millionen Flaschen Spumante, die in der Appellation Trentodoc pro Jahr produziert werden, keltert Ferrari etwa 60 Prozent.

Interview erschien im Magazin #6, Sommer 2021