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Ohne das Engagement von Giannola Nonino wäre Grappa vielleicht noch immer der Arme-Leute-Schnaps von einst. Im Gespräch mit der Grande Dame, die niemals müde wird.

Giannola Nonino, erinnern Sie sich an ihren ersten Schluck?

Das war mit Achtzehn, als ich Benito Nonino kennenlernte. Während der Weinlese wollte er mir seine Arbeit zeigen. Zuerst verliebte ich mich in ihn, dann in seinen Grappa.

Was unterscheidet Grappa von einem guten Grappa?

Guter Grappa wird aus frischem, selektioniertem Trester und nach diskontinuierlicher handwerklicher Methode gebrannt. Die Traubenschalen dürfen nicht vollständig ausgepresst werden, damit sie noch einige Tropfen Most enthalten. Und der frische Trester muss sofort in die Destillerie gebracht werden. Im Gegensatz zu Cognac und schottischem Whisky, die klare Vorschriften kennen und handwerklich gebrannt werden müssen, schreibt die Grappa-Spezifikation weder die Brenndauer noch die Destillationsmethode vor.

Das heisst?

Man kann handwerklich, also diskontinuierlich brennen, was bedeutet, dass der Trester nach jedem Durchgang aus dem Brennkessel entfernt und durch frischen Trester ersetzt wird. Oder man brennt industriell, kontinuierlich. Die Krux: Es besteht keine Verpflichtung, dies auf dem Etikett zu deklarieren, so dass den Konsumenten wesentliche Informationen vorenthalten werden.

Früher war Grappa ein Arme-Leute-Schnaps.

Es gibt einen schönen Satz des italienischen Dichters David Maria Turoldo. «La Grappa era l’acqua di fuoco che ti bruciava anche la fame e ti dava coraggio per affrontare ogni fatica.» – Der Grappa war das Feuerwasser, das deinen Hunger verbrannte und dir Mut gab, dich jeder Mühe zu stellen. Die Bauern besassen früher nicht einmal das Land, das sie für ihre Grossgrundbesitzer bestellten, sie hatten nur den Grappa.

Erzählen Sie!

Die Bauern erhielten von ihren «Signori» den Trester, also die Abfälle der Weinproduktion, um sie den Hühnern zu verfüttern. Doch die Bauern wussten, dass in den Traubenhäuten noch immer etwas Alkohol steckte. Daraus brannten sie mit rudimentären Destillierkolben Grappa für den Eigenbedarf.

Das heisst?

Sie boten dem Arzt Grappa an, wenn er einen Kranken besuchte. Sie mischten Grappa mit Wasser, um den Durst bei der harten Feldarbeit zu löschen. Sie benutzten Grappa, um sich im Winter zu wärmen und Wunden zu desinfizieren. Hatte man Schmerzen in den Beinen, massierte man sie mit Grappa. Bei Fieber trank man einen Schluck. Das sind Dinge, die ich nie vergessen werde.

Ihre Destillerie existiert seit 1897. Damals liess sich Orazio Nonino, der zuvor mit seinem mobilen Destillierkolben durch die Dörfer des Friaul gezogen war, in Ronchi di Percoto nieder.

Orazio war ein Landwirt, der mit seiner Brennblase auf Rädern von Weinberg zu Weinberg zog. Er sammelte den Trester ein, brannte ihn und überliess den Winzern im Gegenzug ein paar Flaschen Grappa. Nach Orazio kamen Luigi, Antonio und dann Benito, mein Mann. Damals wurde der Trester bei den Winzern abgeholt und mit Pferdewagen oder Motorfahrzeugen zur Brennerei gebracht. Als ich meinen Führerschein machte, konnte man ihn von B auf C umschreiben lassen, ohne jemals in einem Lastwagen gesessen zu haben. Benito sagte immer: «Wenn wir heiraten, fährst du den LKW!» Wir heirateten 1962 und fuhren in der Mittagspause unserer Arbeiter zu den Winzern, ein Lastwagen ich, ein Lastwagen Benito. Und weil mir die Kraft fehlte, den feuchten Trester auf den Laster zu schaufeln, ging ich mit einer Flasche Grappa zu den Männern, die Karten spielten und rief in die Runde: «Wer will einen Grappa Nonino?» Der LKW war schnell beladen. (lacht)

Ihre Mission: Grappa vom Aschenputtel in die Königin zu verwandeln. Warum?

Nun, ich war sehr stolz auf Benito und seinen Grappa, denn er war aussergewöhnlich! Ich konnte sehen, wie leidenschaftlich er arbeitete und sich wie ein Alchimist zwischen den Brennblasen bewegte. Wenn wir bei unseren Freunden zum Abendessen eingeladen waren, brachten alle eine Flasche Cognac oder Champagner mit. Ich kam mit einer Flasche Grappa – doch die wurde nie den Gästen angeboten. Eines Abends ging ich in die Küche und stellte die Köchin zur Rede. Sie antwortete: «Signora, Grappa ist gut für den Elektriker, den Metzger, den Mechaniker.» Porca miseria!

Und dann?

Ich habe nicht geantwortet, aber im Auto sagte ich zu Benito: «Basta! Es reicht!» Wir müssen etwas fürs Image des Grappa tun! Wir haben etwa zehn Jahre experimentiert, dann kam uns die zündende Idee: Wenn wir Verduzzo-Wein für seine Süsse lieben, und die Ribolla-Traube für ihre Vollmundigkeit, warum versuchen wir nicht die Traubensorten einzeln zu brennen, statt alle auf einmal?

Bis dahin wurden die verschiedenen Trester immer gemischt?

Ja. Bis Anfang der 1970er Jahre, als wir den ersten Monovitigno-Grappa aus Picolit-Trester brannten, wurde die weissen und roten Traubenhäute immer vermischt.

Ihr Picolit Cru Monovitigno erregte bei seiner Lancierung 1973 grosses Aufsehen!

Ich wollte etwas zum Andenken an meinen Vater tun, der im Jahr zuvor verstorben war. Er liebte Picolit, die wertvollste autochthone Rebsorte des Friaul und ein raffinierter Weisswein. Ich klopfte also an die Türen mehrerer Winzer, um ihnen von unserer Idee zu erzählen, aber sie antworteten mir ganz unverblümt: «Sie sind verrückt, Signora!» Also beschloss ich, mein Glück bei den Winzerfrauen zu versuchen – mit einem unanständigen Vorschlag: Statt 2500 Lire für einen Doppelzentner versprach ich 2500 Lire für ein Kilo Picolit-Trester!

Und das klappte?

Ja. Und als der erste Monovitigno-Picolit-Grappa gebrannt war, machten wir ein wunderbares Fest und luden die Winzer, oder besser gesagt, ihre Frauen ein. Und wer kam? Die Ehemänner! (lacht)

Auch Traubenbrand war Ihre Erfindung?

Die Idee kam mir auf der Rückfahrt aus der Schweiz, wo wir eine Brennerei besucht hatten, die Aprikosenschnaps brannte. Warum hatte ich nie daran gedacht, die Traube als ganze Frucht zu brennen? Im Vergleich zum Grappa präsentiert sich unser ÙE Traubenbrand nochmals delikater und ist – besonders wenn man aromatische Sorten verwendet – eine wahre Explosion an Aromen.

Gehen Ihnen die Ideen nie aus?

Nein, ich werde nie müde! Kennen Sie unsere Cocktails, unseren Amaro und den Botanical Drink?

Nein.

Die müssen Sie probieren! Kürzlich wurde unser L’Aperitivo Botanical Drink zum Aperitif des Jahres 2021 gewählt. Seine goldene Farbe kommt einzig von den Botanicals, keine Farbstoffe. Meine Töchter Cristina, Antonella und Elisabetta mischen ihn mit Bubbles. Ich gebe eine Menge Eis dazu, zwei Spritzer Zitronensaft, Tonic Water. Und wenn ich nicht schlafen kann, trinke ich einen Schluck pur.

Und zum Essen?

Oh, ich koche natürlich mit Grappa! Ins Gemüse-Risotto gebe ich ein wenig gereiften Traubenbrand ÙE, das ist sehr elegant. Und in den Braten mache ich immer einen Schluck Grappa Riserva Antica Cuvée, der reift in unserem Keller 5 bis 20 Jahre im Barrique und unter dem Siegel der Zollbehörde. Für Fisch verwende ich weissen Grappa, einen nicht zu aromatischen wie unseren Merlot. Und wenn man eine Creme macht, einen Apfelkuchen… ein bisschen Antica Cuvée oder ein aromatischer Grappa wie Moscato. Oddio! Ein Traum!

Zum Schluss: Wie erkennt man gute Qualität?

Es gibt einen alten Trick unserer Bauern. Geben Sie ein paar Tropfen Grappa auf die Handfläche, reiben Sie die Hände aneinander. Durch die Wärme setzen sich Aromastoffe frei, übrig bleibt ein wunderbarer Duft, pure Magie – oder nichts. Probieren Sie es aus!

 

 

 

Fest in Frauenhand


Zugegeben: Gegründet wurde Italiens Grappa-Destillerie «numero uno» vor 120 Jahren von einem Mann. Für eine wahre Revolution in der Brennerszene sorgten dann aber Giannola Nonino (83) und ihr Mann Benito, als sie 1973 zum Entsetzen der Traditionalisten mit ihrem sortenreinen Picolit-Grappa weltweit für Furore sorgten. Heute liegt die Unternehmensleitung in den Händen ihrer drei Töchter Cristina, Antonella und Elisabetta, zu ihnen gesellt sich Giannolas Enkelin Francesca – sechste Nonino-Generation und erfolgreiche Grappa-Influencerin. Das Credo von Nonino: 100% handwerkliche Destillation mit diskontinuierlichen Dampfbrennkolben, 0% Farbstoffe.

Interview erschien im Magazin #7, Herbst 2021