Steile Karriere: Olga Fusari kam mit 22 zu Ornellaia – und ist heute die verantwortliche Önologin. Ein Gespräch über Arbeit unter Druck, gereifte Weissweine und die momentane Lieblingsflasche in ihrem Keller.
Strenger Tag. Was trinken Sie?
Ein Glas Weisswein, das erfrischt nach einem langen Arbeitstag den Geist.
Wenn Sie nicht Önologin geworden wären, was würden Sie heute tun?
Meeresbiologin. Ich war fasziniert von der Idee, dieses versteckte Ökosystem zu erforschen. Heute arbeite ich zumindest in der Nähe des Meers. Oder Kriminologie – wohl auch meiner Liebe zu Krimis geschuldet. Letztendlich haben Weinbau und Önologie das Rennen gemacht: Etwas zu erschaffen und dabei meine Handschrift zu hinterlassen, erfüllt mich.
Sie kamen mit 22 zu Ornellaia. Ein Alter, in dem den meisten Wein gar noch nicht schmeckt.
Nun, Wein hatte mich eben interessiert. Ich war eine junge Studentin und begann 2005 bei Ornellaia, als Praktikantin. Meine Aufgabe war es, die Reifung der Trauben zu dokumentieren und dem Team nützliche Daten zu liefern. Ich spulte Kilometer um Kilometer in den Reben ab.
Warum gerade Ornellaia?
Ornellaia war immer meine Referenz, Bolgheri meine erste Liebe. Darum wollte ich meine Universitätserfahrung auch in dieser Kellerei machen. Ich dachte: wenigstens einmal, dass du persönlich mit Ornellaia in Kontakt kommst. Ich hatte mich geirrt. (lacht)
Jung, weiblich, ambitioniert: Wie war das?
Eine Männerwelt. Das ist sie immer noch, aber sie verändert sich. Unter den Kommilitonen waren wir bereits 40 Prozent Frauen, das ist ein gutes Zeichen. Es sind die Fähigkeiten, die zählen.
Baut ein Name wie Ornellaia nicht auch Druck auf?
Absolut. Ich musste alles von Grund auf lernen und hatte in den ersten Jahren grosse Angst, Fehler zu machen. Aber man kann nicht gut arbeiten, wenn man sich die ganze Zeit Druck und Sorgen macht. Weinmachen braucht auch Intuition und Vertrauen in sich selbst.
Wie würden Sie sich in drei Worten beschreiben?
Präzise – im Sinne von akribisch, nicht so sehr ordentlich. Introvertiert. Zuverlässig.
Wie stark beeinflusst Ihre Persönlichkeit die Weine der Tenuta?
Ich denke schon, dass sich mein Wesen in den Weinen ausdrückt. Meine Präzision, die maximale Aufmerksamkeit für Details. Und der Respekt für die Umwelt, in der wir arbeiten.
Vinifizieren Sie anders als Ihre Vorgänger?
Ich bin quasi an der Seite von Axel Heinz gross geworden, der Chefönologe war, als ich meine ersten Schritte bei Ornellaia machte. Ich war acht Jahre lang seine önologische Assistentin, habe mit ihm gelernt, meine Sinne auf seine abgestimmt. Wir fühlen sehr ähnlich. Ich kann nur sagen, dass man mir oft attestiert, den Weinen eine weibliche Note zu verleihen.
Was heisst das?
Eleganz, Finesse. Das gilt vielleicht nicht nur für mich, aber es ist meine Art zu sein. Ich versuche mich immer auf Zehenspitzen zu bewegen.
Was gefällt Ihnen an einem Wein?
Ich mag Weine, die Eleganz ausdrücken und Emotionen vermitteln. Wo alle Komponenten an ihrem Platz sind.
Und was nicht?
Zu konstruierte Weine. Oder wenn sich ein Wein vom Ort der Herstellung löst. Weine sollten ihr Ursprungsgebiet widerspiegeln.
Aber Sie arbeiten doch auch mit internationalen Sorten …
Für mich heisst Ursprung nicht, dass man ausschliesslich mit Varietäten arbeitet, die historisch schon immer da waren. Es geht mehr darum, ein Gebiet zu interpretieren. Wenn man einen Weisswein aus Bolgheri probiert, soll man das warme mediterrane Klima schmecken. Im Übrigen: Wir alle wissen, dass Bolgheri mit französischen Sorten gross geworden ist, Cabernet Sauvignon, Cabernet franc, Merlot. Deshalb nennt man die Weine auch Bordeaux-Blends. Ich nenne sie lieber Bolgheri-Blends. Denn sind wir mal ehrlich: Diese Rebsorten sind für uns faktisch autochthon.
Ihr «Baby» ist aber ein Weisswein aus Sauvignon blanc.
Poggio alle Gazze dell’Ornellaia, genau. Zwischen 2002 und 2007 produzierte Ornellaia keine Weissweine. Noch als Studentin stiess ich auf meinen Forschungsspaziergängen durch die Reben oft auf alte Sauvignon-blanc-Pflanzen, die einfach nicht sterben wollten. Das war für mich wie eine Botschaft der Natur. Also begannen wir, wieder mit Sauvignon zu experimentieren.
Eine neue Welt?
Eine Welt, in der es viel zu entdecken und zu erneuern gab – mehr als bei den Rotweinen, die bereits etabliert waren. Das Projekt hat meine Faszination für Weisswein geweckt. Darum ist Poggio alle Gazze dell’Ornellaia für mich persönlich eine grossartige kleine Errungenschaft.
Was mögen Sie an Sauvignon blanc?
Sie ist meine liebste weisse Sorte. Ich mag ihre intensive Aromatik, aber auch, dass sie sehr delikat sein kann. Frisch, aber auch weich und anhaltend. Ich schätze Sauvignon blanc ganz generell und aus Bolgheri im Besonderen: Unser warmes Klima trägt dazu bei, dass der oftmals etwas magere Stil schön strukturiert gerät.
Ein Wein mit Potenzial?
Jetzt, wo wir einige Ernten hinter uns haben, können wir sagen, dass sich auch gereifte Jahrgänge nach vier, fünf, sechs, ja gar sieben Jahren noch wunderbar frisch präsentieren. Durch die Entwicklung in der Flasche entstehen komplexere Aromen, oft Noten von Petrol. Leider haben noch immer viele Leute die Vorstellung, dass man Weisswein jung trinken sollte. Aber das stimmt nicht immer. Es gibt auch Weissweine mit grossem Alterungspotenzial!
Es gibt viele gute Weine auf der Welt. Warum gilt gerade Ornellaia als Kultwein?
Ornellaia gelingt es, das einzigartige Terroir von Bolgheri voll und ganz zum Ausdruck zu bringen. Der Wein ist zusammen mit dem Anbaugebiet gross geworden, Hand in Hand. Und Ornellaia hat – zusammen mit anderen grossen Weingütern der Gegend – wesentlich am Aufstieg und heutigen Renommee mitgewirkt. Ein Anbaugebiet, das bis vor wenigen Jahrzehnten gar noch nicht existierte.
Wie bleibt eine Marke über Jahrzehnte relevant? Und was ist wichtiger, Tradition oder Innovation?
Beides. Die Tradition ist es, die das Ruder gerade hält. Innovation gibt uns den Anstoss, über den Tellerrand zu schauen und besser zu werden. Wir dürfen uns niemals in uns selbst verschliessen.
Und das Thema Nachhaltigkeit?
Wir befinden uns aktuell im Zertifizierungsprozess mit Equalitas, wo Nachhaltigkeit in ihrer Gesamtheit nach den Grundpfeilern Umwelt, Soziales und Wirtschaft bewertet wird. Wir bewegen uns jedoch schon seit langem mit grösstmöglichem Respekt in der Natur. Sie ist unser Kapital.
Was ist für Sie der schönste Moment im Weinbereitungsprozess?
Wenn wir die fertigen Weine verschneiden. Nach einem Jahr Arbeit ist das für mich die grösste Befriedigung.
Das perfekte Pairing?
Die reiferen Rotweine passen gut zu Wild. Als Primo zum Beispiel ein Ragù al cinghiale, Wildschwein. Das ist ein typisches Gericht aus unserer Gegend. Jüngere Jahrgänge vielleicht zu einer Bistecca alla fiorentina, zu einem Braten, einem Filet. Und unser Poggio alle Gazze dell’Ornellaia begleitet eine ganze Mahlzeit. Er passt exzellent zu Fisch, kann aber auch problemlos mit weissem Fleisch oder Käse mithalten.
Und weniger klassisch?
Unser Spätlese-Süsswein Ornus dell’Ornellaia wird oft mit einem Dessert gepaart, süss plus süss. Ich hingegen mag den Wein auch zu Käse. Dieses Pairing unterstreicht die Frische des Weins.
Gibt es eine ganz spezielle Flasche in Ihrem Keller?
Auf meiner letzten Frankreich-Reise habe ich mich auf den ersten Schluck in Château Figeac 2015 verliebt und eine Flasche gekauft. Sie wartet nun in meinem Keller auf den perfekten Moment.
Und der wäre?
Ein gemütliches Abendessen, nicht zu viele Leute, sonst ist die Flasche gleich leer. (lacht) Sagen wir, maximal vier Personen. Und im Idealfall Leute, die den Wein auch wertzuschätzen wissen. Das müssen keine Profis sein, aber richtig gute Freunde.
Talentiert, bescheiden und sehr erfolgreich
2005 trat Olga Fusari als Praktikantin in das Unternehmen Ornellaia ein – und blieb. Seit 2016 zeichnet sie als Chefönologin für die Weine der Tenuta verantwortlich. Olga Fusari ist 1983 in Pistoia geboren und studierte an der Universität Florenz Weinbau und Önologie.
Interview erschien im
Magazin #8, Frühling 2022