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Banfi aus Montalcino ist eines der grössten Weingüter der Toskana und hat den Brunello über Italien hinaus berühmt gemacht. Hinter dem Unternehmen steht die italo-amerikanische Familie Mariani aus New York, die in den USA auch ein Weinimportgeschäft betreibt. CEO Cristina Mariani-May über Weinhandel in Zeiten der Prohibition, Female Leadership und warum sie sich auch als Ultramarathon-läuferin gerne einen Schluck Wein gönnt.

Ihr Grossvater gründete das Importunternehmen 1919, zeitgleich mit dem Beginn der Prohibition ...

Er eröffnete das Geschäft im New Yorker Little Italy ein Jahr bevor die Prohibition kam. Er hatte also noch etwas Zeit, all die Weine aus Italien, die er liebte, einzuführen. Dann änderte sich alles.

Erzählen Sie!

Es gab im Grunde drei Optionen. Erstens: die Branche verlassen. Zweitens: Messwein herstellen und ihn an die Kirchen verkaufen – was vor allem in Kalifornien sehr verbreitet war. Oder drittens: mit den Apotheken zusammenarbeiten. Und genau das tat mein Grossvater. Er ver­kaufte Amaro-Bitter als Digestif und mildes Abführmittel. Die Leute liebten ihre Bitter und tranken sie sehr regelmässig. (lacht)

Und der Name Banfi?

Mein Grossvater wurde von seiner Tante Teodolinda Banfi grossgezogen. Teodolinda war die Haushälterin von Papst Pius XI. und als solche für das Essen und den Wein zuständig. Eine starke Frau. Mein Grossvater liebte sie sehr – und benannte später sein Geschäft nach ihr.

In den 1960ern übernahmen Ihr Vater John und Onkel Harry – und kauften Land in Montalcino. Warum in Italien?

Eine interessante Frage, denn es wäre logischer gewesen, nach Kalifornien zu gehen. Die kalifornische Weinindustrie war gerade dabei, sich zu entwickeln. Doch mein Vater war ein echter «Entrepreneur», nie mit dem einfachen Weg zufrieden. Und er hatte eine grosse Liebe für Italien. Er und sein Freud Ezio Rivella – er wurde später unser erster Geschäftsführer – waren Träumer, sie wollten weg vom Vino da Tavola, weg vom Chianti im Fiasko. Sie wollten italienische Weine keltern, die sich mit den französischen und den deutschen messen konnten.

Und warum ausgerechnet Montalcino?

Mein Vater war einer der ersten in New York, der Brunello in die Restaurants brachte. Der Wein kam gut an, besonders bei den Italienern. Also klopfte mein Vater bei Franco Biondi Santi in Montalcino an und fragte nach Wein für den Export. Doch dieser hatte schlicht nicht genug Menge.

Und dann?

Mithilfe von Ezio war mein Vater auf ein kleines Gut namens Poggio alle Mura gestossen. Eigentlich nicht einmal eine richtige Kellerei, sondern eher eine Garage. Das Land war damals sehr günstig zu haben, also beschloss er, ein Weingut von null auf aufzubauen.

«Wir sind wirklich stolz darauf, den Ruf des Brunello in die Welt hinausgetragen zu haben.»

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Cristina Mariani-May CEO von Banfi

Warum nicht einfach kaufen?

Jedes Mal, wenn John und Ezio ein Weingut besuchten, war es entweder schmutzig oder veraltet. Mein Vater wollte Dinge ändern, doch die Leute sagten alle: Naja, so machen wir das eben, seit Generationen. Auf der anderen Seite kam mit Angelo Gaja und Piero Antinori viel Bewegung in die Winzerszene. John wollte an diesem Wandel teilhaben und gründete Castello Banfi auch als eine Art Forschungszentrum.

Die 1970er Jahre waren in der toskanischen Weinwelt eine Zeit des Aufbruchs. Sassicaia oder Tignanello setzten neue Qualitätsstandards. Welche Rolle spielte die Familie Mariani?

Wir brachten auf unserem Anwesen Forscher von überallher zusammen, von den Universitäten Mailand, Bordeaux und Pisa plus all die grossen französischen Önologen. Castello Banfi war mit seinen 2800 Hektar und 29 verschiedenen Bodentypen das perfekte Forschungsfeld. Wir haben viel mit Sangiovese für den Brunello experimentiert, aber auch mit Merlot, Pinot noir, Syrah, Pinot grigio, Chardonnay. Es gibt 46 national registrierte Sangiovese-Klone, von denen 15 auf dem Weingut Banfi entstanden sind. Unser Ziel war es immer, die Ergebnisse zu dokumentieren und der Öffentlichkeit frei zugänglich zu machen.

Das ist grosszügig.

Ich glaube, diese Art von Mentalität war ziemlich neu. Wir kamen aus einer kapitalistischen Gesellschaft und mit dem Mindset: Wenn es jeder Einzelne besser macht, werden wir alle davon profitieren. Und wir wussten: Wir sind gute Weinhändler, gute Marketers, wir sind kreativ – und wenn wir es in den USA schaffen, können wir es überall schaffen. Heute ist Banfi in hundert Ländern vertreten. Wir sind wirklich stolz darauf, den Ruf des Brunello in die Welt hinausgetragen zu haben.

Warum engagieren Sie sich bis heute für den Brunello?

Was die Leute am Brunello lieben, ist die Energie, die Lebendigkeit, die Art und Weise, wie er auf dem Gaumen tanzt. Und wie sich der Wein von Jahrgang zu Jahrgang anders präsentiert. In den USA – ich lebe hier und kenne den Markt sehr gut – sehen wir, dass die KonsumentInnen zu den Weinen der Alten Welt zurückkehren. Sie suchen Weine mit Charakter und Komplexität, nicht die grossen Booms der Neuen Welt.

Und Italien?

In den letzten Jahren ging es mit dem italienischen Sektor steil bergauf, und das gilt nicht nur für Prosecco. Das hat mit zwei Dingen zu tun. Erstens mit der «Love Affair», die wir alle mit Italien haben. Und zweitens mit den Geschichten – und davon gibt es in Italien so viele. Die KonsumentInnen wollen träumen, egal ob sie in Zürich, Manhattan oder Montalcino sitzen. Aber: Wir machen auch wirklich sehr gute Weine zu vernünftigen Preisen! (lacht)

Sie haben bereits Teodolinda Banfi erwähnt. Female Leadership ist ein wichtiges Thema für Sie.

In den USA ist der März der Women’s History Month, ich habe fast jeden Tag Gespräche mit und über Frauen in der Wirtschaft und im Weinbau geführt. Was ich grossartig finde, ist, dass Female Leadership mit einer offeneren Perspektive auf die Weinindus­trie einhergeht.

Wie meinen Sie das?

Frauen sind liberaler, aufgeschlossener und haben mehr Herz – und Geduld. Sie haben das besondere Talent, nichts erzwingen zu wollen, sondern trotz Schwierigkeiten beharrlich weiterzumachen. Das hat viel mit Fürsorge zu tun. Gerade in der Landwirtschaft geht es darum, für künftige Generationen zu denken, und nicht bloss für das laufende Geschäftsjahr. Frauen haben ein gutes Gespür für die langfristige Entwicklung, nicht nur für den schnellen Gewinn, der natürlich immer sehr willkommen ist. Aber Nachhaltigkeit ist ökologisch, kulturell, sozial und finanziell. Ich glaube, wir Frauen haben eine Bodenhaftung und eine Beharrlichkeit, die unterschätzt werden. Aber es ist gut, unterschätzt zu werden, denn wir können die Erwartungen immer übertreffen.

Unter Ihrer Führung hat auch das Thema Nachhaltigkeit an Gewicht gewonnen ...

Das ist ein kontinuierlicher Weg – seit der Gründung von Banfi 1978. Aber ja, wir tun viel und haben in den letzten Jahren wichtige Zertifizierungen erhalten. Wir sind dankbar, dass die Welt inzwischen anerkennt, wie wichtig Nachhaltigkeit ist. Es geht nicht nur darum, wie viel Energie wir einsparen oder wie viel CO₂ durch unsere Wälder gebunden wird. Es geht auch darum, wie langfristig unsere Investitionen sein werden. Wie bereits gesagt, wir sehen uns selbst als Forschungseinrichtung. Am Anfang ging es darum, Sangiovese zu verstehen. Heute forschen wir an krankheitsresistenten Sorten, robusten Unterlagsreben.

Sie sind ein Familienunternehmen in dritter Generation. Wie sehr ist man als unabhängige Marke unter Druck?

Es gibt immer Druck, weil es eine Konsolidierung in den Branchen gibt – schauen Sie sich Ihre Banken an. Und es gibt den Druck, grösser zu werden, was aber nicht unbedingt besser und profitabler bedeutet. Für die Geschäftsfrau in mir geht es darum, Rendite zu erwirtschaften und den Gewinn zu teilen. Aber man darf sich nicht ablenken lassen, man muss auf seinem Weg bleiben. Das ist der Vorteil eines Privatunternehmens in Familienbesitz: Wir haben niemanden, der uns drängt, abgesehen von unserem eigenen Wunsch, voranzukommen.

Apropos Druck: Neben ihrem Job als CEO sind Sie Ultramarathonläuferin. Das sind 45 Kilometer und mehr!

Ich liebe die «long runs»! Und: Rennen ist ein guter Stressabbau.

Wie geht Leistungssport zusammen mit Wein?

Früher habe ich gedacht: kein Wein vor einem Rennen. Jetzt denke ich: auf jeden Fall Wein vor einem Rennen – damit schläft man besser – und auf jeden Fall Wein danach! Dazwischen einfach viel Wasser. (lacht)

Welche Weine mögen Sie?

Ich mag Weissweine, die frisch, leicht und knackig sind – etwa unseren Vermentino La Pettegola oder Principessa Gavia. Und ich liebe unseren Summus. Einer der besten Rotweine, den wir herstellen, ein Blend aus Sangiovese, Cabernet und Syrah. Er ist breit, üppig und entwickelt sich ständig weiter.

Und wie stehen Sie zu NoAlcohol-Weinen?

Ach, es wird viel darüber geredet … Junge Leute trinken vielleicht nicht mehr so viel Wein wie noch vor Generationen, aber sie wissen ihn definitiv zu schätzen. Geben wir der jungen Generation etwas Zeit, und sie wird erkennen, dass Wein mehr als Alkohol ist. Guter Wein ist Geschichte, Kunst, Kultur. Und: Auf lange Sicht ist Wein ein zu grosses Vergnügen im Leben, um darauf zu verzichten!
   

Cristina Mariani-May ist seit 2018 CEO von Banfi. Die Unternehmung hat zwei Geschäftszweige: US-Weinimport (seit 1919) und das Weingut Castello Banfi in Montalcino (seit 1978). Dort bewirtschaftet die Familie nicht nur 900 Hektar Reben, sondern betreibt auch das 5-Sterne-Hotel Il Borgo, zwei Restaurants (einmal mit Michelin-Stern), eine Enoteca sowie ein Glasmuseum. Mariani ist verheiratet, Mutter von zwei Söhnen und einer Tochter und lebt in New York.